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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche
Autoren: Marcia Muller
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gewisser Weise. Andererseits war es
nicht so schlimm. Zumindest habe ich nicht dauernd die Erwartungen von jemand
anderem platzen lassen.«
    Ich wußte, was er damit meinte, denn
ein paar von diesen glänzenden Ferienseifenblasen waren mir selbst auch
geplatzt.
    Jack schenkte den Wein in Plastikbecher
und reichte mir einen. »Auf bessere Zeiten und einen neuen Anfang.« Als unsere
Becher gegeneinanderstießen, berührten sich unsere Finger.
    Ich nahm einen Schluck und sah weg, um
meine Verwirrung zu verbergen. Ich hatte schon seit einer Weile den Verdacht,
daß Jack sich für mich interessierte. Es war ein Interesse, das ich nicht
bestärken wollte.
    Die Ehe der Stuarts war nicht besonders
glücklich gewesen, aber sie hatte lange gedauert. Geheiratet hatten sie noch
auf der Law School, und zwanzig Jahre hatten sie miteinander gelebt, trotz
ihrer radikal verschiedenen politischen Ansichten und Karrieren. Doch der Umzug
von Los Angeles nach San Francisco, verbunden mit neuen Jobs — sie arbeitete in
einer angesehenen, konservativen Kanzlei in der Innenstadt, er in einer neuen,
liberal gesonnenen Gemeinschaftspraxis — hatte die Kluft zwischen ihnen vergrößert.
Jack hatte die Scheidung nicht gewollt, und sein Jammer wurde noch dadurch
verschlimmert, daß seine Exfrau eine Woche nach Verkündung des endgültigen
Scheidungsurteils ihren Chef heiratete.
    Selbst jetzt, nach fast einem Jahr, war
sein Schmerz immer noch zu frisch, als daß er eine neue Bindung auf einer
anderen Basis hätte eingehen können, als der »früher war es so«. Er
würde — im Positiven wie im Negativen — jede Handlung einer neuen Frau an denen
seiner früheren messen. Er würde entweder mehr oder auch weniger von ihr
erwarten, als sie tatsächlich zu geben vermochte. Ich mochte Jack sehr, konnte
mir eine romantische Neigung zu ihm vorstellen, aber ich war nicht bereit, mich
auf eine Situation einzulassen, in der ich nur die Verliererin sein konnte. Und
ich spürte, zu diesem Zeitpunkt war er zu nichts anderem fähig als einer
lockeren, zufälligen Beziehung — genau von der Art, wie ich sie mir nicht mehr
leisten mochte.
    Trotz seiner Selbstabkapselung war Jack
nicht unsensibel. Er spürte mein Unbehagen, schnitt Brot, Käse und Salami ab
und wechselte das Gesprächsthema.
    »Abgesehen von dem Vergnügen, mit dir
zusammenzusein, hatte ich auch noch einen geschäftlichen Grund, dich heute um
ein Zusammensein zu bitten«, sagte er. »Ich würde gern einen Fall mit dir
besprechen, bei dem ich Hilfe brauche. Ich habe mich gefragt, ob er es wert
ist, dir die Zeit zu stehlen, und ich bin zu der Überzeugung gekommen, er ist es.«
    »Erzähl.«
    »Du weißt doch, was ein Fall ohne
Leiche ist?«
    »Mehr oder weniger. Ich denke mir, es
ist einer, in dem die Leiche des Opfers nicht aufgefunden wurde, aber neben den
bloßen Zufallsfunden genügend Beweise für die Annahme vorhanden sind, daß ein
Verbrechen stattgefunden hat. Das ›corpus delicti‹ können dann Blutflecke sein,
Augenzeugenberichte oder ein Geständnis.«
    Jack sah mich überrascht an. »Du liest
wohl viel über Kriminologie?«
    »So einiges. Ich habe in Berkeley ein
paar Vorlesungen gehört. Bei meiner Arbeit ein ganz natürliches Interesse.«
    »Der Grund, warum ich frage, ist, daß
die meisten Leute denken, das ›corpus delicti‹ habe direkt etwas mit der Leiche
zu tun und nicht mit dem Kern eines Verbrechens. Wahrscheinlich, weil ›corpus‹
eben der Wortstamm von ›Körper‹ ist. Ich habe Schwierigkeiten, meinem Klienten
diesen Unterschied klarzumachen.«
    »Mir war gar nicht klar, daß du gerade
mit einem Mordfall beschäftigt bist. Wer ist der Beschuldigte?«
    »Ein zwanzig Jahre alter schwarzer
Junge namens Bobby Foster. Bereits zum Tode verurteilt. Wir sollen für ihn in
die Berufung gehen.«
    Der Name kam mir bekannt vor, aber ich
konnte ihn nicht unterbringen. »Ein Todesurteil? Das ist reichlich hart für
einen ›Fall ohne Leiche« Und für so einen jungen Angeklagten.«
    »Der Mord hing mit einem Kidnapping
zusammen. Also besondere Umstände. Es gibt auch ein Geständnis — ziemlich
schlimme Geschichte. Das Opfer war aus prominenter Familie: Alter Geldadel, und
beide Eltern Professoren an der Stanford. Sie selbst war eine junge
Comedy-Schauspielerin, deren Stern schnell auf ging.«
    Jetzt erinnerte ich mich, woher ich
Fosters Namen kannte. »Der Fall Tracy Kostakos.«
    »Richtig.«
    »Himmel.«
    Der Mord war vor fast zwei Jahren
passiert, aber ich erinnerte mich
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