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Mord in Mesopotamien

Mord in Mesopotamien

Titel: Mord in Mesopotamien
Autoren: Agatha Christie
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schrieb in der Veranda einen Brief und hörte uns anscheinend nicht kommen. Der Boy, der einen sonst anmeldet, war nicht da, und so gingen wir direkt zu ihr. Anscheinend hatte sie Jervis’ Schatten an der Wand gesehen und schrie laut auf. Sie entschuldigte sich natürlich und sagte, sie habe geglaubt, es sei ein Fremder. Komisch, nicht wahr? Warum hat sie solche Angst vor einem Fremden?»
    Ich nickte nachdenklich. Miss Reilly schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: «Ich weiß überhaupt nicht, was dieses Jahr dort drüben los ist. Alle sind sie durcheinander. Miss Johnson geht mürrisch umher und macht kaum den Mund auf. David spricht nur, wenn es unbedingt sein muss. Bill hört natürlich nie auf zu quatschen, und sein Geschnatter scheint den andern die Sprache noch mehr zu verschlagen. Carey schleicht herum, als stünde das Weltende bevor, und alle beobachten sich gegenseitig, als ob… als ob…. ach, ich weiß nicht, ich weiß nur, dass etwas nicht stimmt.»
    Es ist eigenartig, dachte ich, dass zwei so verschiedene Menschen wie Miss Reilly und Major Pennyman genau dasselbe empfinden.
    In dem Augenblick tobte Coleman herein. Hereintoben ist das richtige Wort. Wenn seine Zunge ihm geifernd zum Mund herausgehangen und er mit einem Schwanz zu wedeln begonnen hätte, wäre ich nicht überrascht gewesen.
    «Hallo, hallo!» rief er. «Ich bin der beste Einkäufer der Welt. Haben Sie der Schwester alle Schönheiten der Stadt gezeigt?»
    «Sie war nicht sehr beeindruckt», entgegnete Miss Reilly.
    «Das kann ich verstehen», sagte Mr Coleman freundlich. «Ein dreckiges Mistnest.»
    «Sie scheinen keinen Sinn für Altertümer und malerische Winkel zu haben, Bill. Ich verstehe nicht, wieso Sie Archäologe geworden sind.»
    «Dafür müssen Sie meinen Vormund verantwortlich machen; er ist ein gelehrtes Haus… ein Bücherwurm, der in Pantoffeln durch seine Bibliothek schlurft. Es war ein schwerer Schlag für ihn, dass ich, sein Mündel, so ganz anders bin.»
    «Ich finde es höchst albern von Ihnen, sich einen Beruf aufzwingen zu lassen, an dem Ihnen nichts liegt», sagte das Mädchen scharf.
    «Nicht aufgezwungen, Sheila, meine Gute, nicht aufgezwungen. Der alte Herr fragte mich, ob ich einen bestimmten Beruf gewählt hätte, und als ich verneinte, hat er mich mit List und Tücke für ein Jahr hierher verfrachtet.»
    «Aber haben Sie wirklich keine Ahnung, was Sie gern tun möchten?»
    «Natürlich habe ich das. Mein Ideal wäre, nichts zu tun. Ich möchte gern viel Geld haben und Motorrennen fahren.»
    «Das ist ja lächerlich», rief Miss Reilly aufgebracht.
    «Oh, ich weiß, dass das nicht in Frage kommt», sagte Mr Coleman freundlich. «Da ich leider etwas arbeiten muss, ist es mir egal, was, wenn ich nur nicht den ganzen Tag im Büro sitzen muss. Ich hatte Lust, mir ein bisschen die Welt anzuschauen, und so bin ich hierher gekommen.»
    «Ich nehme an, dass Sie sich sehr nützlich machen.»
    «O ja. Auf dem Ausgrabungsplatz passe ich auf die arabischen Arbeiter auf und brülle sie mit ‹Y Allah› an. Auch vom Zeichnen verstehe ich etwas. Handschriften zu kopieren war in der Schule meine Spezialität; ich würde einen erstklassigen Fälscher abgeben. Vielleicht tue ich das auch noch eines Tages. Wenn Sie je von meinem Rolls-Royce mit Dreck bespritzt werden, während Sie auf den Autobus warten, wissen Sie, dass ich ein Verbrecher geworden bin.»
    Sie entgegnete kühl: «Finden Sie nicht, dass es Zeit wäre, sich auf den Weg zu machen, statt soviel zu reden?»
    «Ausgesprochen gastfreundlich, nicht wahr, Schwester?»
    «Ich bin sicher, dass Schwester Leatheran gern endlich an Ort und Stelle sein möchte.»
    «Sie sind immer sicher», erwiderte Coleman grinsend.
    Das stimmt, dachte ich. Eine selbstsichere kleine Hexe! Laut sagte ich: «Mir wäre es recht, wenn wir jetzt fahren würden, Mr Coleman.»
    «Gut, Schwester.»
    Ich bedankte mich bei Miss Reilly und verabschiedete mich; dann fuhren wir los.
    «Sheila ist ein verdammt hübsches Mädchen», sagte Mr. Coleman, «aber sie muss einen immer ärgern.»
    Nachdem wir die Stadt verlassen hatten, gelangten wir auf eine Art Weg, der durch grüne Felder führte; er war holprig und voll ausgefahrener Wagenspuren.
    Nach ungefähr einer halben Stunde zeigte Mr Coleman auf einen großen Grabhügel am Ufer direkt vor uns und verkündete: «Das ist Tell Yarimjah.»
    Ich sah kleine schwarze Gestalten wie Ameisen umhereilen. Plötzlich rannten sie alle auf die andere Seite des
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