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Mord in Mesopotamien

Mord in Mesopotamien

Titel: Mord in Mesopotamien
Autoren: Agatha Christie
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Hügels.
    «Feierabend», erklärte Mr Coleman. «Eine Stunde vor Sonnenuntergang ist Feierabend.»
    Das Haus der Expedition lag etwas hinter dem Fluss. Der Chauffeur bog um eine Ecke, polterte dann durch einen unglaublich engen Torbogen, und wir waren angelangt.
    Das Haus war um einen Hof gebaut. Früher war nur die Südseite des Hofes bebaut gewesen, abgesehen von ein paar armseligen Schuppen an der Ostseite. Die Expedition hatte dann auch die anderen Seiten mit Baulichkeiten versehen.
    Alle Zimmer führten auf den Hof, ebenso die meisten Fenster – nur das ursprüngliche, südlich gelegene Gebäude hatte auch Fenster aufs Land, die aber stark vergittert waren. In der Südwestecke des Hofes führte eine Treppe zu einem großen Flachdach mit einem Geländer, das die ganze Südseite des Hauses einnahm, die höher war als die anderen drei Seiten.
    Mr Coleman ging mit mir zu einer großen Veranda in der Mitte der Südseite, öffnete eine Tür, und wir traten in ein Zimmer, in welchem mehrere Personen um einen Teetisch saßen.
    «Dideldidei», rief Mr Coleman, «hier ist die gute Samariterin.»
    Die Dame, die am Kopf des Tisches saß, erhob sich und kam mir zur Begrüßung entgegen.
    Es war Louise Leidner.

5
     
    I ch muss zugeben, dass mein erster Eindruck von Mrs Leidner ein völlig anderer war, als ich erwartet hatte. Man macht sich natürlich von einem Menschen, von dem man viel hört, eine gewisse Vorstellung, und ich hatte mir eingeredet, Mrs Leidner müsse eine unzufrieden wirkende, hochgradig nervöse, dunkelhaarige Frau sein. Auch hatte ich angenommen, ich muss es gestehen, sie wäre etwas gewöhnlich.
    Sie entsprach jedoch keineswegs diesem Bild. Mit ihrem hellblonden Haar und ihrer schlanken Figur war Mrs Leidner eine wirkliche Schönheit. Sie war nicht mehr jung – ich schätzte sie zwischen dreißig und vierzig – , hatte ein schmales Gesicht und große dunkelviolette Augen. Sie sah zart, fast zerbrechlich aus, und wenn ich sage, dass sie sowohl unglaublich müde wie sehr lebendig wirkte, so hört sich das wie Unsinn an, aber das war der Eindruck, den man von ihr hatte. Außerdem fühlte ich sofort, dass sie wirklich eine Dame war, und das will heutzutage viel heißen.
    Freundlich lächelnd streckte sie mir die Hand entgegen und sagte mit sanfter, leiser Stimme, die einen leicht amerikanischen Akzent aufwies: «Ich bin so froh, dass Sie gekommen sind, Schwester. Möchten Sie eine Tasse Tee? Oder möchten Sie sich zuerst Ihr Zimmer ansehen?»
    Ich antwortete, dass ich gerne eine Tasse Tee trinken würde, und sie stellte mir die Anwesenden vor.
    «Das ist Miss Johnson… Mr Reiter… Mrs Mercado… Mr Emmott… Pater Lavigny. Mein Mann muss jeden Augenblick kommen. Wollen Sie sich bitte zwischen Pater Lavigny und Miss Johnson setzen.»
    Miss Johnson, die mich an die Oberin des Krankenhauses, in dem ich gelernt hatte, erinnerte und mir gefiel, fragte, ob ich eine gute Reise gehabt hatte. Sie mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Das kurz geschnittene Haar verlieh ihr etwas Männliches, ihre Stimme war ziemlich tief, aber sehr angenehm. Ihr hässliches Gesicht war verwittert, und sie hatte eine drollig nach oben gebogene Nase, die sie zu reiben pflegte, wenn sie etwas beunruhigte oder wenn sie über etwas nachdachte. Sie trug ein herrenmäßig geschnittenes Tweedkostüm und erzählte mir gleich, dass sie aus Yorkshire stamme.
    Pater Lavigny fand ich recht aufregend. Er war ein großer Mann mit einem langen schwarzen Bart und trug einen Kneifer. Mrs Kelsey hatte mir gesagt, dass zu der Expedition ein französischer Mönch gehöre, und ich sah jetzt, dass er eine weiße Mönchskutte trug. Seine Anwesenheit überraschte mich sehr, weil ich bisher geglaubt hatte, dass Mönche ins Kloster gingen und nicht mehr herauskämen. Mrs Leidner unterhielt sich meist auf Französisch mit ihm, aber mit mir sprach er in einem recht guten Englisch. Er hatte kluge, beobachtende Augen, und seine Blicke sprangen von einem Gesicht zum andern.
    Mir gegenüber saßen die Übrigen drei. Mr Reiter war ein dicker junger Mann mit einer Brille, ziemlich langen blonden welligen Haaren und kugelrunden blauen Augen. Ich dachte, er müsse ein hübsches Baby gewesen sein, jetzt sah er eher wie ein kleines Schwein aus. Der andere junge Mann hatte kurzgeschorenes Haar, ein längliches, vergnügtes Gesicht, schöne Zähne und wirkte, wenn er lächelte, sehr anziehend. Er sprach wenig, nickte nur ab und zu und antwortete, wenn nötig, mit einem
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