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Mord in Mesopotamien

Mord in Mesopotamien

Titel: Mord in Mesopotamien
Autoren: Agatha Christie
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haben Sie noch auf dem Herzen?»
    Nach einigem Zögern sagte ich: «Ich habe Angst, dass ich manchmal zu persönlich werden könnte.»
    «Mein Gott, Schwester! Je persönlicher, desto besser! Es ist ja eine Geschichte von Menschen – nicht von Attrappen. Werden Sie persönlich, seien Sie voreingenommen, seien Sie boshaft! Schreiben Sie alles genau so, wie Sie es erlebt haben. Man kann später immer noch streichen, damit Ihnen kein Prozess angehängt werden kann. Sie sind doch eine vernünftige Frau, und Sie werden Ihren Bericht mit gesundem Menschenverstand abfassen.»
    Ich versprach also, mein Bestes zu tun.
    Und nun beginne ich. Es ist aber, wie ich dem Doktor bereits sagte, sehr schwer, sich zu entscheiden, wo man beginnen soll.
    Am besten schreibe ich wohl zunächst etwas über mich. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt und heiße Amy Leatheran. Meine allgemeine Ausbildung erhielt ich im St.-Christopher-Krankenhaus und arbeitete dann zwei Jahre in der Geburtshilfeabteilung. Danach war ich eine Weile als Privatpflegerin tätig, und schließlich war ich vier Jahre lang im Kinderheim von Miss Bendix am Devonshire Place angestellt. Nach dem Irak kam ich mit einer gewissen Mrs Kelsey, die ich in London bei ihrer Entbindung gepflegt hatte und die dann ihren Mann nach Bagdad begleitete. Dort wartete bereits eine Kinderschwester auf sie, die schon mehrere Jahre mit Freunden von ihr im Land weilte. Da Mrs Kelsey sehr zart ist und sich vor der weiten Reise mit einem Säugling fürchtete, engagierte mich Major Kelsey als Reisebegleiterin; sollte ich für die Heimfahrt keine Stellung als Pflegerin finden, verpflichtete er sich, meine Rückreise zu bezahlen.
    Das Baby war entzückend und Mrs Kelsey recht nett, obwohl ziemlich reizbar. Ich genoss die Fahrt sehr; es war meine erste große Seereise.
    Unter den Mitreisenden befand sich auch Dr. Reilly – ein schwarzhaariger Herr mit einem länglichen Gesicht, der mit leiser, trauriger Stimme viel Spaßhaftes sagte. Ich glaube, es machte ihm Vergnügen, mich in Verlegenheit zu bringen; er stellte die ungewöhnlichsten Behauptungen auf und war neugierig, ob ich sie schlucken würde. Er war Regierungsarzt in einem Ort namens Hassanieh, das anderthalb Tagereisen von Bagdad entfernt ist.
    Als ich ungefähr eine Woche in Bagdad war, traf ich ihn. zufällig auf der Straße. Da die Wrights (Kelseys Freunde, die ich schon erwähnte) früher nach England reisen mussten als ursprünglich geplant, hatte ihre Kinderschwester sofort bei Mrs Kelsey die Arbeit aufnehmen können.
    Dr. Reilly, der davon gehört hatte, sagte zu mir: «Ich habe eine Stelle für Sie, Schwester.»
    «Ein Pflegefall?»
    Er runzelte die Stirn. «Man kann es wohl nicht direkt einen Pflegefall nennen. Es handelt sich um eine Dame, die… sagen wir… an Phantasievorstellungen leidet.»
    «Oh!» (Das bedeutet oft: Trinken oder Rauschgift.)
    Mehr sagte Dr. Reilly nicht; er ist sehr diskret. «Sie heißt Mrs Leidner», fuhr er fort, «und ihr Mann, ein Amerikaner schwedischer Abstammung, ist Leiter einer großen amerikanischen Ausgrabungsexpedition.»
    Er erklärte mir, dass diese Expedition am früheren Standort einer großen assyrischen Stadt Ausgrabungen vornehme. Das Wohnhaus der Expeditionsteilnehmer sei nicht weit von Hassanieh entfernt, aber sehr einsam gelegen, und Dr. Leidner mache sich seit einiger Zeit Gedanken wegen der Gesundheit seiner Frau. «Er hat sich nicht klar ausgedrückt, aber es scheint, dass sie an nervösen Angstzuständen leidet.»
    «Ist sie den ganzen Tag allein mit den Eingeborenen?», fragte ich.
    «Nein, das nicht. Die Expedition besteht aus sieben oder acht Mitgliedern, Europäern und Amerikanern. Ich glaube nicht, dass sie je allein im Haus ist, aber anscheinend bildet sie sich etwas ein und hat sich in etwas hineingesteigert. Leidner hat nicht nur sehr viel Arbeit, sondern macht sich auch, wie schon gesagt, die größten Sorgen um seine Frau, die er außerordentlich liebt. Es würde ihn beruhigen, wenn sich eine verantwortungsbewusste, kompetente Person um sie kümmerte.»
    «Und was sagt Mrs Leidner dazu?»
    «Mrs Leidner ändert von einem Tag zum andern ihre Ansicht, doch scheint sie nun einverstanden. Sie ist eine merkwürdige Frau, affektiert bis in die Knochen, und eine perfekte Lügnerin, vermute ich… aber Leidner scheint ernsthaft zu glauben, dass sie aus irgendeinem triftigen Grund unter fürchterlichen Angstzuständen leidet.»
    «Was hat sie zu Ihnen gesagt, Herr Doktor?»
    «Oh,
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