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Mord in Mesopotamien

Mord in Mesopotamien

Titel: Mord in Mesopotamien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Augenblick, dann fragte sie: «Wissen Sie, wie merkwürdig sie gewesen ist? Hat Dr. Leidner es Ihnen gesagt?»
    Ich liebe es nicht, über meine Patienten zu klatschen; andererseits ist es oft schwer, von den Angehörigen die Wahrheit über die Krankheit zu erfahren, und solange man nicht Bescheid weiß, tappt man im Dunkeln und kann nicht helfen. Wenn sich der Patient in ärztlicher Behandlung befindet, ist es natürlich etwas anderes: Da wird einem von berufener Seite gesagt, was man wissen muss. Doch in diesem Fall war kein Arzt beigezogen worden, und ich war nicht überzeugt, dass Dr. Leidner mir alles gesagt hatte. Mrs Mercado, die ich für eine gehässige kleine Katze hielt, brannte sichtlich darauf zu reden. Und offen gestanden wollte ich sowohl aus menschlichem wie aus beruflichem Interesse alles wissen, was sie zu erzählen hatte. Man kann auch sagen, dass ich ganz einfach neugierig war. So sagte ich: «Ich vermute, dass Mrs Leidner in der letzten Zeit nicht ganz zu ihrem normalen Ich gefunden hat.»
    «Normal?» Mrs Mercado lachte unangenehm. «Sie hat uns schon zu Tode erschreckt. In einer Nacht klopften angeblich Finger an ihr Fenster, dann eine Hand ohne Arm. Und als sie schließlich ein gelbes Gesicht an ihr Fenster gepresst gesehen haben wollte, das verschwunden war, als sie zum Fenster stürzte, fanden wir alle, dass es doch etwas unheimlich sei.»
    «Vielleicht wollte ihr jemand einen Streich spielen?»
    «Aber nein. Sie hat sich alles nur eingebildet. Als vor drei Tagen während des Abendessens im Dorf – das über einen Kilometer entfernt ist – geschossen wurde, sprang sie auf und schrie so, dass wir alle zu Tode erschraken, und Dr. Leidner stürzte zu ihr und benahm sich höchst lächerlich. ‹Es ist nichts, Liebling, es ist nichts›, sagte er immerfort. Sie wissen es wahrscheinlich, Schwester, dass Männer ihre Frauen oft in ihren hysterischen Einbildungen noch bestärken. Das ist sehr schlimm, man darf das nicht tun.»
    «Nicht, wenn es wirklich Einbildungen sind», entgegnete ich.
    «Was sollte es denn sonst sein?»
    Ich schwieg, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Es hörte sich merkwürdig an. Das Schreien nach dem Schießen war die natürliche Reaktion eines nervösen Menschen; aber die Geschichte mit dem gespenstischen Gesicht und der Hand war etwas anderes. Entweder hatte Mrs Leidner die Geschichte erfunden wie ein Kind, das sich wichtig machen will, oder jemand hatte sich – was ich eher annahm – einen dummen Scherz erlaubt. Zu so etwas wäre ein Bursche wie zum Beispiel Mr Coleman durchaus fähig. Ich beschloss, ihn im Auge zu behalten. Nervöse Patienten können durch alberne Scherze an den Rand des Wahnsinns gebracht werden.
    Mrs Mercado sagte mit einem Seitenblick auf mich: «Sie sieht romantisch aus, Schwester, finden Sie nicht? Sie gehört zu den Frauen, denen immer etwas passiert.»
    «Hat sie schon viel erlebt?», fragte ich.
    «Ihr erster Mann ist im Krieg gefallen, als sie zwanzig war. Ich finde das sehr romantisch, nicht?»
    Da es dunkel wurde, schlug ich statt einer Antwort vor, hinunterzugehen. Sie war einverstanden und fragte, ob ich das Laboratorium sehen wolle. «Mein Mann wird dort arbeiten.» Wir machten uns auf den Weg. Im Laboratorium brannte zwar Licht, aber es war niemand dort. Mrs Mercado zeigte mir die Apparate und einige Kupferornamente, die gesäubert wurden, und ein paar mit Wachs bedeckte Knochen.
    «Wo wohl Joseph steckt?», fragte sie und ging in den Zeichensaal, wo Carey arbeitete. Er blickte kaum auf, als wir eintraten; mir fiel der merkwürdig gespannte Ausdruck seines Gesichts auf, und ich dachte sofort: Der Mensch ist am Ende seiner Kräfte, der bricht bald zusammen. Und ich erinnerte mich, dass jemand behauptet hatte, er sei in einem gereizten Zustand. Als wir hinausgingen und ich mich noch einmal umwandte, saß er mit zusammengepressten Lippen tief über die Arbeit gebeugt da, und die Ähnlichkeit mit einem Totenkopf war frappierend. Ich fand, er sehe aus wie ein mittelalterlicher Ritter, der in die Schlacht zieht und weiß, dass er fallen wird.
    Und wieder wurde mir unwillkürlich seine außergewöhnliche Anziehungskraft bewusst.
    Mr Mercado war im Wohnzimmer und erklärte Mrs Leidner, die Blumen in einen feinen Seidenstoff stickte, irgendeine neue chemische Behandlungsmethode. Ich war erneut von ihrer eigenartig zarten, unirdischen Erscheinung gefesselt; sie glich mehr einer Fee als einem Wesen aus Fleisch und Blut.
    Mrs Mercado

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