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Mord auf Widerruf

Mord auf Widerruf

Titel: Mord auf Widerruf
Autoren: Reginald Hill
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Stadttheaters herumposaunt hatte, sie habe gesellschaftlich relevante Dramen auf ihre Fahnen geschrieben, war er ihr gegenüber so mißtrauisch gewesen, wie Ellie begeistert war. Doch ihre Schönheit und Ausstrahlung hatten ihn schnell erobert. Ihre Zahlmeister, die Stadträte, waren eine weniger leichte Beute gewesen. Ihnen ging es um Flöhe, nicht um Fleisch, und es herrschte große Sorge, daß man sich vielleicht eine linke Natter an den rechtschaffenen Busen geholt habe. Doch als ihre Inszenierung von Noël Cowards »Private Lives« (nach Skegness und Huddersfield verpflanzt) ein Kassenschlager wurde, den nur noch die »Gondeln auf dem Grand-Union-Kanal« überboten, atmeten die Stadtväter höchst erleichtert auf, daß ihr schwarzes Schaf doch goldene Eier legte, und ließen sich auf dem Geldstrom treiben.
    Doch bei ihrem neuesten Projekt, bei dem es sowohl um Gott als auch um Geld ging, hätten seine Alarmglocken läuten sollen.
    Eileen Chung plante die Aufführung mittelalterlicher Mysterienspiele als riesiges Freiluftspektakel. Ihre Inszenierung sollte auf verschiedenen Quellen basieren, im Mittelpunkt standen jedoch, zur Freude der Lokalpatrioten, die Zyklen von York und Wakefield. Die Veranstaltung war für den Frühsommer vorgesehen, sollte sieben Tage dauern, und alle, die dabei mitmischen durften, hatten das Projekt geprüft und für gut befunden. Die Geistlichkeit war einverstanden, weil der Religion »Relevanz« zukam, die Handelskammer, weil sich die Stadt vor Touristen nicht würde retten können, die kommunalen Vertreter, weil durch die Mitwirkung der zahllosen Einheimischen die kulturellen Bindungen des Gemeinwesens wiederbelebt würden, und der Stadtkämmerer, weil diese Einheimischen nicht von einer Bezahlung ausgehen würden. Einige versprengte Unbelehrbare murmelten etwas von Götzendienst und Blasphemie, doch ihre Stimmen gingen in der großen Woge allgemeiner Zustimmung unter.
    Man war davon ausgegangen, daß Eileen Chung die Sprechrollen mit dem Ensemble besetzen und vielleicht einen Fernsehstar mittlerer Strahlkraft engagieren würde, um Jesus mit einer gewissen kommerziellen Zugkraft auszustatten. Doch in diesem Punkt hatte sie alle überrascht.
    »Kommt gar nicht in Frage«, hatte sie Ellie gegenüber gesagt. »Das Ensemble wird in den Massenszenen eingesetzt. Bei einem solchen Abenteuer braucht man gerade dort eine solide Verstärkung durch Profis. Stars kann ich selber machen!«
    Und so ward zur großen Jagd geblasen. Jeder, der in der Region schon einmal auf den Brettern gestanden hatte, schickte seine Zeitungsausschnitte an das Kemble. Angegraute Jack Points, King Lears mit flaumigem Kinn, Lady Macbeths vom Lande; Wunderkinder; Freds ’n’ Gingers; Sir-Laurence-Olivier-Doubles und Sir-John-Gielgud-Stimmenimitatoren; Schmollmäulchen à la Monroe und Streep-Stripperinnen; die Guten, die Schlechten und die Unfaßbaren standen in den Startlöchern, um vor Eileen Chungs scharfem Blick zu schreiten und gleiten, wüten und brüten, schlachten und schmachten, kuscheln und nuscheln, rezitieren und deklamieren, werben und sterben.
    Doch den meisten half ihre Bühnenerfahrung nichts. Eileen Chung sorgte dafür, daß alle Aspiranten ihre Zeitungsausschnitte mit Dank zurückerhielten, wußte sie doch, wie kostbar die Belege der Anerkennung sind, der Tenor des Begleitschreibens war jedoch unmißverständlich: Warum tauchen Sie nicht lieber in den Massenszenen unter? Denn Eileen Chung hatte die kurze Zeit, die sie in der Stadt weilte, nicht vergeudet. Sie war ein geselliger Mensch, ließ sich nicht zweimal bitten und hatte ein hervorragendes Gedächtnis. Wer sie kennenlernte, war vielleicht fasziniert, schockiert, amüsiert, abgestoßen, verwundert, verzaubert, gebannt oder bestrickt – nur gleichgültig blieb niemand.
    Obwohl so manche Leute Lust gehabt hätten, auf ihrer Vorspielcouch zu sitzen, merkten nur wenige, daß sie dort bereits gesessen hatten. Als Eileen Chung mit ihrem Projekt an die Öffentlichkeit trat, hatte sie ihre Besetzungsliste so gut wie komplett im Kopf.
    Nun waren ihre engsten Vertrauten gefordert, die Opfer, die sich zierten, zu umgarnen. Pascoe war höchst amüsiert gewesen, als Ellie durchblicken ließ, wie erbarmungslos ihre Freundin zu Werke ging. Nie wäre ihm auch nur einen Augenblick der Gedanke gekommen, daß sie ihn ebenfalls im Visier haben könnte!
    Doch nun war sein Selbstverteidigungsinstinkt mehr als geweckt. Wieder ließ er seinen Stock auf den Couchtisch
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