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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan
Autoren: Boris Akunin
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zu Fandorin sagte, Sie dürften solche Ausdrücke auch gar nicht kennen. Der Sinn ihrer sehr energischen und expressiven Rede lief darauf hinaus, daß der »verdammte Perversling« (ich benutze einen Euphemismus, denn Mrs. Kleber drückte sich gröber aus) seinen gemeinen Trick mit dem Leben bezahlen werde. »Aber zuerst mache ich die gelbe Giftnatter unschädlich!« schrie die werdende Mutter, machte einen Schritt vorwärts und schoß auf Aono. Er stürzte zu Boden und stöhnte dumpf.
    Mrs. Kleber machte noch einen Schritt und zielte mit ihrem Pistölchen Fandorin direkt ins Gesicht. »Ich schieße tatsächlich nie daneben«, zischte sie. »Und jetzt kriegst du das Blei genau zwischen deine hübschen Äuglein.«
    Der Russe stand da, die Hand auf dem sich ausbreitenden roten Fleck. Ich kann nicht sagen, daß er vor Angst gezittert hätte, aber er war blaß.
    Das Schiff schwankte heftiger als sonst – eine schwere Welle schlug gegen die Bordwand, und ich sah, wie das häßliche Ungetüm Big Ben kippte, kippte … und auf Mrs. Kleber niederstürzte! Das Hartholz knallte dumpf gegen ihren Hinterkopf, und das ungestüme Weib fiel bäuchlings zu Boden, niedergedrückt vom Gewicht des Eichenturms.
    Alle eilten zu Mr. Aono, der mit durchschossener Brust dalag. Er war bei Bewußtsein und versuchte aufzustehen, doch neben ihm hockte Doktor Truffo und hielt den Verletzten bei den Schultern fest. Dann schnitt er ihm die Kleider auf, untersuchte den Einschuß und runzelte die Stirn.
    »Macht nichts«, sagte der Japaner leise durch die zusammengebissenen Zähne. »Die Lunge ist nul ganz wenig velletzt.«
    »Und die Kugel?« fragte Truffo besorgt. »Fühlen Sie sie, Collega? Wo steckt sie?«
    »Ich glaube, sie steckt im lechten Schultelblatt«, antwortete Mr. Aono und fügte mit einer Kaltblütigkeit, die mich begeisterte, hinzu: »Linkel Untellappen. Sie welden den Knochen vom Lücken hel aufmeißeln müssen. Das ist sehl schwielig. Ich bitte um Entschuldigung fül die Umstände.«
    Da sprach Fandorin einen rätselhaften Satz. Über den Verletzten gebeugt, sagte er leise: »Na bitte, Aono-san, Ihr Traum hat sich erfüllt – jetzt sind Sie mein Onjin. Der kostenlose Japanisch-Unterricht muß leider ausfallen.«
    Aber Mr. Aono schien das Kauderwelsch zu verstehen, er verzog die blassen Lippen zu einem schwachen Lächeln.
    Als Matrosen den verbundenen japanischen Gentleman auf einer Trage hinaustrugen, wandte sich der Doktor Mrs. Kleber zu.
    Zu unserer nicht geringen Verwunderung zeigte sich, daß das hölzerne Ungetüm ihr nicht den Schädel zertrümmert, sondern ihr nur eine Beule beigebracht hatte. Wir zogen die betäubte Verbrecherin, so gut es ging, unter der Londoner Sehenswürdigkeit hervor und trugen sie zu einem Sessel.
    »Ich fürchte, die Leibesfrucht wird den Schock nicht überstehen«, sagte Mrs. Truffo seufzend. »Und das arme Kind kann ja nichts für die Sünden seiner Mutter.«
    »Dem Kind ist nichts passiert«, versicherte ihr Mann. »Diese
    … Person ist so zählebig, daß sie gewiß ein gesundes Kind zur Welt bringt, noch dazu leicht und pünktlich.«
    Fandorin fügte mit einem Zynismus, der mich unangenehm berührte, hinzu: »Wir wollen hoffen, daß die Geburt im Gefängnishospital stattfindet.«
    »Eine schreckliche Vorstellung, was aus diesem Schoß geboren wird«, sagte Miss Stomp schaudernd.
    »Jedenfalls wird die Schwangerschaft sie vor der Guillotine bewahren«, bemerkte der Doktor.
    »Oder vor dem Galgen«, sagte auflachend Miss Stomp. Das erinnerte uns an die erbitterte Diskussion, die sich unlängst der Kommissar und Inspektor Jackson geliefert hatten.
    »Das Äußerste, was ihr droht, ist eine kurze Gefängnishaft wegen versuchten Mordes an Herrn Aono«, sagte Fandorin verdrossen. »Es werden sich mildernde Umstände finden: Affekt, Erschütterung, auch die Schwangerschaft. Mehr zu beweisen wird nicht gelingen, das hat sie uns glänzend demonstriert. Ich versichere Ihnen, Marie Sansfond wird sehr bald wieder auf freiem Fuß sein.«
    Seltsam, keiner von uns sprach von dem Tuch, als hätte es das nie gegeben, als hätte der Wind mitsamt dem bunten Stoff nicht nur die hundert britischen Panzerschiffe und die französische Revanche ins Nichtsein geweht, sondern auch den krankhaften Dunst, der den Menschen den Verstand und die Seele getrübt hatte.
    Fandorin blieb bei dem beschädigten Big Ben stehen, der jetzt in den Müll gehörte: das Glas zerschlagen, der Mechanismus verdorben, das Gehäuse aus
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