Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Autoren: Maximo Duncker
Vom Netzwerk:
hatte er die Erzählung erweitert, kleine Impressionen eingefügt, Wetter- und Landschaftsbeschreibungen, Charaktere und Physiognomien geschärft, sodass sie tatsächlich zu einem kleinen Roman geworden war, dem er versuchte, im Oktober den letzten Schliff zu geben, womit er im November fertig geworden war. Das Manuskript, das er jetzt endlich stolz in der Hand hielt, ein ordentlicher Stapel Papier, wirkte auf den außenstehenden Leser wie ein humoristischer Roman mit kriminalistischem Einschlag, doch im Grunde war es eine nur leicht ausgeschmückte Reportage. Nichts als die – etwas ausgewalzte – Wahrheit.
    Er fand noch vor dem neuen Jahr einen Verlag, der sein Buch drucken wollte. Sein Name als Kulturredakteur war noch nicht ganz in Vergessenheit geraten, und bereits im folgenden Mai, nicht mal ein Jahr nach den originalen Ereignissen, kam Kai van Harms Roman in den Buchhandel, den die Marketingabteilung, gegen van Harms nur leichten und deshalb umso schneller zu überwindenden Widerstand als »Landkrimi aus der ostdeutschen Provinz« anpries.

Neuköllner Elegie

Eine Premiere
    Wie ein gestrandeter Flugzeugträger aus Glas und poliertem Stein lag das Fünf-Sterne-Hotel Sterelle am südlichen Ende der Sonnenallee. Es war ein sogenanntes Erlebnis-Hotel, was bedeutete, dass es über mehr Zimmer verfügte, als sich je Gäste in ihm einmieten würden. Denn wer wollte schon hier in der Einöde zwischen Kleingärten, Gleisanlagen und Gewerbegebiet übernachten. Ein Flecken von tiefster Provinzialität und Langeweile und unendlicher Tristesse, obwohl er mitten in Berlin lag. Und davon gab es Hunderte in der Stadt.
    Vermutlich waren die Grundstückspreise niedrig gewesen, weshalb man das Sterelle hier an der Neuköllner Peripherie errichtet hatte. Um die voraussehbare geringe Auslastung gleich von Anfang an zu kompensieren, gab es einen großen und mehrere kleine Veranstaltungssäle sowie eine Unzahl von Tagungs- und Sitzungsräumen. Alles war ausgestattet mit Technik vom Feinsten, und fast an jedem Abend gab es das, was man neumodisch als »Event« bezeichnete. Australische Steptanzhorden traten auf oder blau geschminkte Pantomimen, es gab Playback-Shows, in denen stark geschminkte Kinder in beunruhigend freizügiger Garderobe berühmte Sänger nachahmten, Frauenboxkämpfe fanden statt, die hin und wieder sogar im Fernsehen übertragen wurden, und so weiter und so fort. Tagsüber gab es Motivationsseminare mit glühenden Kohlen sowie Aktionärsversammlungen mittelgroßer Unternehmen. Bei alldem kam es nicht so darauf an, wie es draußen vor der Tür aussah. Ob da der Wind das Rollstroh über den Parkplatzasphalt peitschte oder nicht. Und hin und wieder buchte eben einer der vielen Veranstaltungsbesucher und Eventteilnehmer sogar ein Zimmer.
    Und so war es vielleicht auch heute an diesem prächtigen, warmen und gut ausgeleuchteten Mai-Abend. Schon am Eingang verkündete eine Tafel das heutige Ereignis:
    Exklusiv!!! Buchpremiere!!!
    Der Buttermann-Verlag und
    Ihr Erlebnis-Hotel Sterelle präsentieren:
    Der Journalist und Schriftsteller
    Kai van Harm liest aus seinem Debütroman
    Schweine, Kühe, Ostdeutschland
    Nicht unzufrieden registrierte Kai van Harm die Tafel, bevor er das weitläufige Entree des Hotels betrat, das von leiser Fahrstuhlmusik erfüllt war. Alles glänzte und blinkte hier, strahlte eine Großspurigkeit aus, die wie extra erfunden schien für die Bus-Reisegruppen aus der Provinz, wenn sie etwa zur Harald-Juhnke-Gedächtnis-Show anreisten, mit einem zusätzlichen Wellness-Tag und einem Drei-Gänge-Menü im hauseigenen Vital-Restaurant »Zur Dinkel-Mühle«.
    Wie auch immer. Van Harm jedenfalls war auch am heutigen Abend mehr als korrekt gekleidet. Er trug einen schwarzen, schmal geschnittenen italienischen Anzug, ein schwarzes Hemd samt anthrazitfarbener Krawatte sowie schwarze Budapester, deren Schnitt einen schlanken Fuß machte. Die dunkelblonden Haare waren in Fasson geschnitten, wobei der Scheitel um einige Zentimeter zu lang war, um noch als seriös zu gelten, und ihm regelmäßig in die Augen fiel. Was wiederum eine kecke Geste des Zurückstreichens erforderte. Aber es war genau dieser zu lange Scheitel, der Kai van Harm trotz seiner nun fast schon fünfzig Lebensjahre etwas Jungenhaftes verlieh. Und nur deshalb hatte er ihn sich vermutlich im letzten halben Jahr wachsen lassen. Und es war gut möglich, dass er aus ebendiesem Grund fast zehn Kilo Körpergewicht verloren hatte. Das ließ ihn agil
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher