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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade
Autoren: Kiernan Celine
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von Fett und Ruß – angebrüllt wurden, weil sie zusammengezuckt waren, als ihnen der spritzende, siedend heiße Bratensaft die Hände verbrannte. Und einmal hatte sie sogar mit ansehen müssen, wie eine Schlossköchin in den Mittelländern ein winziges Kind mit einer hölzernen Kelle verprügelte. Das Schlimmste daran war gewesen, dass der kleine Kerl während seiner Züchtigung unablässig weiter den Spieß gedreht hatte – selbst als seine Augen anschwollen und sich blau verfärbten, hatte er den Griff nicht losgelassen, aus Furcht, das Fleisch könnte verbrennen und seine Strafe deshalb noch unbarmherziger ausfallen.
    Für Wynter war der Spießdreher der nachdrücklichste Hinweis darauf, welcher Geist in einem Schloss herrschte. Die meisten waren rußgeschwärzte, hohläugige Wesen, vergessen und geschunden. Aber der Knabe hier in Marnis Küche lachte bei der Arbeit. Seine kleinen Hände steckten in Handschuhen, und eine große Metallscheibe am Griff des
Spießes schützte ihn vor den schlimmsten Spritzern. Zwar war er rußig und glänzte vor Schweiß und Fleischsaft, aber er war anständig gekleidet, gut genährt und fröhlich.
    Er saß nach vorn gebeugt und sprach gerade mit jemandem, der offenbar auf dem Boden kauerte, jedoch Wynters Blick entzogen war. Nun nahm das Kind ein Stückchen Kreide von dem Unsichtbaren entgegen und schrieb etwas auf die Steinplatten, während er weiter behände das Fleisch drehte.
    Wynter lehnte sich zur Seite, um besser sehen zu können: Ein Mann hockte neben dem Jungen, den dunklen Schopf gesenkt, um die Kreidelinien auf dem Fußboden zu betrachten. Er trug die himmelblaue Arztrobe und sprach so leise, dass Wynter ihn nicht verstehen konnte, doch seine Worte zauberten ein stolzes Grinsen auf das verschmierte kleine Kindergesicht.
    Eine Küchenmagd stellte einen Becher schaumige Milch und einen Teller mit Pferdebrot und Käse neben dem Knaben ab. Schon wollte der Junge danach greifen, doch der Arzt hielt ihn mit einer braunen Hand am Arm fest. Dann hob er den Kopf dem Mädchen entgegen, und Wynters Herz machte einen Satz, als sie sein Profil erkannte. Razi.
    »Hast du die Milch abgekocht, wie ich es dir aufgetragen habe, Sarah?«
    Die Magd nickte mit weit aufgerissenen Augen.
    »Gekocht, nicht nur warmgemacht? Hast du gewartet, bis sie sprudelt, und dann die obere Schicht abgeschöpft, um die schlechten Säfte zu entfernen?«
    Wieder nickte das Mädchen und machte einen raschen Knicks, als besiegelte das die Frage. Immer noch mit dem Rücken zu Wynter gab Razi die Hand des Jungen frei, blieb aber noch ein Weilchen neben ihn gekauert und sah zu, wie
er sein Essen in sich hineinstopfte. Selbst dabei hörte der kleine Kerl nicht auf, das Fleisch in der richtigen Geschwindigkeit zu drehen, so dass es gar wurde, ohne zu verbrennen; für ihn war die Bewegung so natürlich wie das Atmen.
    Als ihr Freund aus Kindertagen schließlich aufstand und sich umdrehte, stellte Wynter fest, dass nicht nur sie selbst gewachsen war. Sie hatte erwartet, in ihrem fünfzehnjährigen Körper – mit der neuen Beinlänge und der neuen Kopfhöhe – dem Vierzehnjährigen von damals ebenbürtig zu sein, sein Gegenstück im Reiten und Schwimmen und Klettern zu bilden.
    Doch auch Razi hatte sich verändert, und so war es ein neunzehnjähriger Mann, der nun dort stand und sich Kreidestaub von den Händen rieb. Er war viel größer; seine Gesichtszüge waren markanter, dominiert von Wangenknochen und Nase, die dunklen Augen noch genauso groß, aber mit schweren Lidern. Er war glatt rasiert, seine glänzenden Locken allerdings mussten dringend geschnitten werden – immer wieder strich er sie mit ungeduldigem Seufzen aus der Stirn. Die blaue Arztrobe stand ihm gut, und Wynter fühlte einen fast schmerzlichen Stolz auf ihn, weil er seine Studien zu Ende geführt und erfolgreich abgeschlossen hatte, trotz der schrecklichen Zeiten, die sie durchlebt hatten.
    Alberon muss so stolz auf ihn sein, dachte sie.
    Jetzt fuhr sich Razi mit der Hand durchs Haar und sah sich gedankenverloren um, als versuchte er, sich zu erinnern, was als Nächstes kam. Sein Blick begegnete dem Wynters und wanderte weiter, dann ruckte sein Kopf zurück. Keck zog sie eine Augenbraue hoch, ein herausforderndes Lächeln kroch auf ihre Lippen. Untersteh dich, mich vergessen zu haben, Razi Königssohn. Untersteh dich, mein Gesicht nicht zu erkennen.

    »Wynter!« Er brüllte es geradezu heraus. Beim Klang seiner tiefen Stimme stutzte sie
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