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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade
Autoren: Kiernan Celine
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Empfindungen in Razis Miene – und unvermittelt wandten beide die Blicke voneinander ab, plötzlich ganz gefesselt von dem geschäftigen Treiben um sie herum. Mit einem seltenen Ausdruck unverhüllter Zärtlichkeit betrachtete Marni die zwei, dann drehte sie sich rasch weg und schimpfte einen armen Kerl aus, der ihr im Weg stand.
    »Wo ist Alberon, Razi?« Wynter sprach leise und sah ihn nur von der Seite an. In den vergangenen fünf Jahren hatten sie keinerlei Verbindung zueinander gehabt, hatten nicht einmal sicher sein können, ob der andere noch am Leben war. Wenn sie schon fragte, musste sie es sanft tun, nicht zu geradeheraus, um keine alte Wunden aufzureißen oder Geheimnisse aufzudecken, die besser verborgen blieben.

    Razi räusperte sich und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo er ist, kleine Schwester. Hier ist er jedenfalls nicht. Vater sagt … Vater sagt, er habe ihn an die Küste geschickt, um die Flotte zu inspizieren.«
    Ihre Blicke trafen sich kurz, dann wandte sich Wynter ab. Sie konnte in Razis Miene lesen, dass er die Version des Königs anzweifelte. Ihr Kopf schwirrte vor Fragen, und ihr ganzer Brustkorb zog sich bang zusammen.
    Warum sollte Alberon, der rechtmäßige Sohn und alleinige Thronerbe, nach so vielen Jahren voller Unruhen und Gefahren so weit von zu Hause fortgeschickt werden? Andererseits – warum sollte der König Razi anlügen? Seinen ältesten Jungen und Bastardsohn, den er innig liebte und dem er vertraute? Darauf hatte Wynter keine Antworten; sie fühlte nur Angst, Angst, die sich in ihrem Herzen breitmachte wie eine rätselhafte Krankheit.
    Als sie sich in der Küche umsah und die schwitzenden, abgearbeiteten Gesichter, die vertraute Kulisse in sich aufnahm, spürte sie die kalten Wasser der Politik unter alldem hindurchrauschen, gewaltig, finster und stürmisch. Sie konnten jeden von ihnen jederzeit mit sich reißen. Wir müssen vorsichtig sein, dachte sie. Wir müssen vorsichtig sein.
    Es gab so vieles, das sie erfahren wollte, doch im höfischen Leben gab es nun mal Dinge, die man nicht fragen konnte – nicht laut, nicht in einer überfüllten Küche, nicht einmal seinen ältesten Freund.
    Razi war angespannt wie ein Pferd kurz vor dem Rennen, die dunklen Augen wanderten durch den Raum, sein innerer Aufruhr war beinahe greifbar. Sorgenvoll rieb er sich mit den Fingern über die Handfläche, und Wynter hätte ihn gern daran gehindert, seine Gefühle so offen zu zeigen.
    Hinter Razi stand ein Tablett mit Marmeladentörtchen
zum Abkühlen unter dem hohen Fenster, und vor Wynters Augen hob plötzlich der Hungrige Geist zwei davon an seinen unsichtbaren Mund. Sie verschwanden mitten in der Luft, Biss für Biss. Lächelnd stupste Wynter Razi in die Seite und schielte verstohlen zu Marni, in Erwartung ihrer üblichen hitzigen Antwort auf das lästige Gespenst. Gegenstände würden durch die Küche fliegen! Sie würde fluchen! Marnis Dauerfehde mit dem Hungrigen Geist hatte stets für Kurzweil gesorgt.
    Doch als Razi den Kopf hob, um zu sehen, was los war, wich ihm die Farbe aus dem dunklen Gesicht. Wynter blieb gerade noch Gelegenheit, es zu bemerken, bevor Marni zwei weitere Törtchen durch die Luft schweben und in einem Krümelregen verschwinden sah. Die Miene der Köchin verfinsterte sich, bei ihrem Anblick verging Wynter das Lächeln. Das war nicht Marnis gewohnte melodramatische Darbietung. Hier drängten Empfindungen von tief unten an die Oberfläche, eine brodelnde Unterströmung, so deutlich sichtbar, als hätte man Marnis Schädel für einen Augenblick aufgeklappt und seinen Inhalt enthüllt.
    Wynter beobachtete, wie Marnis Hand die Schöpfkelle fester umschloss, ihr ganzer Körper zitterte vor Empörung. Und dann drehte sich die massige Frau mit zornig verzerrtem Gesicht um und tat, als bemerkte sie nicht, wie der Unsichtbare das gesamte Törtchentablett verputzte.
    Mit großen Augen wandte sich Wynter wieder Razi zu. Er seufzte erleichtert und blickte Marni nach, als sie davonstolzierte.
    »Auf meinem Weg hierher bin ich Rory begegnet.« Wieder senkte Wynter die Stimme, damit niemand sonst sie hören konnte. Zu ihrer Bestürzung wirbelte Razi mit geballten Fäusten auf seinem Sitz herum. Die Wut in seinen Augen erschreckte sie, sie zuckte zurück.

    »Hat er mit dir gesprochen?«, zischte er, seine Stimme ein tödliches Flüstern.
    Wynter schüttelte den Kopf. »Nein, er wollte nicht. Ich …«
    Sofort verflog der Ärger aus Razis Miene, wurde abgelöst von
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