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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade
Autoren: Kiernan Celine
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und der kurzen Jacke Frauenkleider zu tragen. Man konnte Füße und Beine so viel einfacher bewegen, wenn sie unter einem Rock verborgen waren. Wieder stieß sie einen Seufzer aus ob ihrer törichten Begeisterung, die sie übereilt vom Pferd hatte springen lassen. Unmittelbar bei ihrer Ankunft hatte sie einen Satz von Ozkars Rücken hinunter gemacht, in Erwartung weit geöffneter Tore
und einer stürmischen Begrüßung. Welch kindische Eitelkeit! Nun stand sie hier, und Stolz und Zeremoniell hinderten sie daran, wieder aufzusteigen – sie musste warten wie ein niederer Page, bis der Soldat mit ihrer Erlaubnis zum Passieren zurückkehrte.
    In diesem Moment sah Wynter, wie eine orangefarbene Katze anmutig am Sockel der Mauer entlangschlich. Als das Tier den Schatten verließ, leuchtete es auf wie ein glühendes Stückchen Kohle. Beim Anblick der Katze vergaß Wynter die höfische Zurückhaltung und gestattete sich ein Lächeln und ein Nicken. Mit einer Drehung des Kopfes verfolgte sie ihren Weg. Das Tier blieb stehen, eine Pfote an die weiße Brust erhoben, und musterte Wynter mit gekränkter Neugier. Schon durch ihre bloße Haltung sagte die Katze: Soll ich meinen Augen trauen? Hast du gewagt, mich anzusehen?
    Wynters Lächeln wandelte sich zu einem Grinsen angesichts der so vertrauten katzenhaften Geringschätzung, und sie fragte sich, wie viele Generationen von Katzenbrüdern und Katzenschwestern wohl in den fünf Jahren ihrer Abwesenheit geboren worden waren. Vor Antritt ihrer Lehrzeit hatte Wynter das Amt der Königlichen Katzenhüterin bekleidet und all ihre Schützlinge beim Namen gekannt. Wessen Ururenkelkätzchen mag das sein? , überlegte sie.
    Sie neigte den Kopf und murmelte: »Ich grüße dich an diesem schönen Tag, Mäuse-Verderben«, in Erwartung der üblichen Entgegnung: »Umso schöner nun für dich, da du mich gesehen hast.« Doch stattdessen riss das Tier die grünen Augen vor Schreck und Verwirrung auf, huschte unvermittelt davon, stob über die Brücke und verschwand unten auf dem losen Kies des jenseitigen Ufers – eine Flamme im Sonnenlicht.
    Ratlos blickte Wynter ihr nach. Kaum zu glauben: eine
Katze mit solch abscheulichen Manieren und derart leicht zu erschütterndem Gemüt! Irgendetwas stimmte hier nicht.
    Das Klappern der Pforte lenkte Wynters Blick wieder nach vorn. Die Schatten unter dem Fallgitter wurden von einer scharfen Klinge aus Sonnenlicht durchschnitten, als sich die Pforte öffnete und der Sergeant des Wachpostens den Kopf herausstreckte. Er betrachtete sie beide ohne jede Achtung, als wäre er überrascht, sie noch immer hier vorzufinden. Gewandt setzte Wynter wieder ihre höfische Miene auf.
    Ohne ein weiteres Wort zog der Sergeant den Kopf wieder zurück und ließ das Schloss der Pforte geräuschvoll einschnappen. Dann, wenige Sekunden später, begannen sich die schweren Ketten des Tors mit einem knirschenden Quietschen von Metall auf Stein zu rühren – irgendwo im Inneren der Mauern kurbelte der Torhüter an dem großen Rad, das die Ketten auf ihre Spulen wickelte.
    Ja! , dachte Wynter. Man hat uns Einlass gewährt!
    Langsam, langsam wurden die Schatten unter der Brücke von Sonnenlicht aufgefressen, als das schwere Pferdetor aufschwang und den Blick auf die inneren Gärten und den Palast des Königs freigab.
    Mit flatternder Robe eilte Heron, der Kämmerer, über den breiten Kiespfad auf sie zu. Er musste geradewegs aus seiner Amtsstube kommen, da er so formell gekleidet war, und tatsächlich entdeckte Wynter Tintenflecke auf seinen Fingern. Sein faltiges altes Gesicht war von Freude erfüllt, wie ein gro ßer, liebenswürdiger Vogel näherte er sich, als wollte er sich auf ihren Vater mitsamt Pferd herabsenken und ihn in eine Umarmung schließen, die beide den Blicken entzog. »Lorcan!«, rief er im Laufen, »Lorcan!«, und seine Ungezwungenheit löste eintausend bange Knoten in Wynters Kopf. Manche Dinge wenigstens waren noch in Ordnung.

    Ihr Vater beugte sich aus der Höhe des Sattels herab und lächelte seinen alten Freund müde an. Sie gaben einander die Hand, die schaufelförmige Pranke ihres Vaters fest umschlungen von den langen, geschmeidigen Fingern Herons. Ihre lächelnden Augen verweilten lange auf dem Gesicht des anderen.
    »Freund Heron«, sagte Lorcan, die warme, kratzende Stimme eine Art Umarmung; das Gefühl darin ging weit über die Worte hinaus.
    Herons Augen verengten sich, und er senkte das Kinn ein wenig, während sich sein Druck um Lorcans Hand
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