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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade
Autoren: Kiernan Celine
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auf die Stiefel und blieb erstaunt bei den grünen Schnürsenkeln hängen – nur die begabtesten Lehrlinge erhielten die Erlaubnis für Grün. Nun suchten die Mägde nach dem Anhänger, der die Zulassung der Zunft bezeugte, und fanden ihn um Wynters Hals. Sie hatte sich also das Recht verdient, für Lohn zu arbeiten, statt nur gegen Kost und Logis, wie es Lehrlingen gemeinhin zustand.
    Als die Mädchen die Köpfe wieder hoben, entdeckte Wynter in ihren Mienen Argwohn und Mutmaßungen. Hier haben wir also etwas Neues, sagte ihr Blick. Eine Frau, die sich in einem Männerhandwerk bewährt. Wynter konnte beinahe hören, wie die Zahnrädchen in ihren Köpfen knirschten, während sie überlegten, was davon zu halten war.
    Da lächelte die Ältere der beiden plötzlich – ein aufrichtiges Lächeln, bei dem sich Grübchen bildeten – und senkte den Kopf zu einem achtungsvollen Gruß. Wynters Herz flatterte wie ein in die Freiheit entlassener Vogel. Anerkennung! Sie gestattete sich einen etwas sanfteren Gesichtsausdruck und schenkte den Mädchen im Vorbeigehen ebenfalls ein flüchtiges Lächeln und ein kurzes Nicken.

    Sobald sie ihnen den Rücken zugewandt hatte, stieß Wynter ein leises Juchzen aus, und schon bald plauderten die Mägde lebhaft weiter.
    Erneut in den rettenden Schatten, nun auf der Kastanienallee. Erwartungsvoll sah sich Wynter um, und ihr Grinsen vertiefte sich, als sie ihn endlich erspähte: Shearings Geist.
    Das schlaksige Gespenst schimmerte im Zwielicht vor ihr. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, doch es erschien ihr noch zerlumpter als in ihrer Erinnerung. Die zerschlissene Kavallerieuniform war an Schultern und Knien zerfetzt und insgesamt so abgetragen, dass sie geradezu eine Beleidigung seiner ruhmreichen Soldatenlaufbahn darstellte. Den Kopf nachdenklich gesenkt, durchstreifte der Geist die Bäume. Wynter beschleunigte, um ihn einzuholen. Er folgte dem Weg, wie er es immer tat, schlängelte sich die Allee hinunter, flackerte im Dämmerlicht auf, verschwand immer wieder, wenn er ins durch das Geäst fallende Sonnenlicht tauchte.
    »Rory«, rief sie leise. »Rory. Ich bin es. Ich bin wieder zu Hause!«
    Shearings Geist schrak zusammen und wirbelte auf dem Absatz herum, seine durchsichtige Gestalt funkelte wie Hitzeflimmern. Er entdeckte Wynter, verknüpfte das ältere Gesicht mit der vertrauten Stimme und erkannte in ihr seine junge Freundin und Spielgefährtin. Ein entzücktes Lächeln stahl sich auf seine bleichen Lippen, schon hob er halb die Hand, während sie unter dem Laubdach auf ihn zuging. Da verdüsterten sich seine Gesichtszüge unvermittelt, und Besorgnis verdrängte die Freude. Wynters Grinsen schwand, als Shearings Geist rückwärts schwebte, eine Hand abwehrend vorgestreckt. Furchtsam blickte er sich um, ob auch niemand sie beobachtete.
    Wynter blieb stehen. Ihr war plötzlich kalt. Shearing hatte
Angst – Angst, mit ihr gesehen zu werden! Noch nie hatte sie erlebt, dass sich ein Gespenst so benahm. Im Allgemeinen kümmerten sie sich nicht darum, was die Lebenden über sie dachten, und gerade Shearing hatte mit Palastpolitik nichts zu schaffen. Entweder war man sein Freund oder nicht – damit hatte es sich. Zumindest war es so gewesen, bevor sie fortgegangen war.
    Reglos wie eine Statue stand sie da, während sich Shearing vergewisserte, dass niemand anderes in der Nähe war. Dann erst wandte er sich ihr zu – das vornehme Gesicht ein Ausbund des Bedauerns – und hielt sich einen Finger an die Lippen. Schschsch, sagte diese Geste, wir sind hier nicht sicher. Und dann entschwand er, die mitfühlende Miene nur noch ein Echo in der dunstigen Luft.
    Wie lange sie dort mit wild pochendem Herzen gestanden hatte, wusste Wynter nicht zu sagen, doch es musste eine ganze Weile gewesen sein, denn die Brunnenmagd holte sie auf dem Weg zurück in den Palast ein. Wynter hörte ein Räuspern hinter sich, erschrak und drehte sich um.
    Sie trat zur Seite und ließ das Mädchen vorbei. Als sie auf gleicher Höhe waren – und Wassertröpfchen aus den schaukelnden Eimern auf die Spitzen von Wynters staubigen Stiefeln spritzten -, musterte die Magd Wynter, offenkundig verwirrt durch den plötzlichen Wandel in ihrem Auftreten. Wo war die kühle Selbstbeherrschung geblieben? Und was hatte die innere Ruhe der Fremden so erschüttert? Wynter wusste, sie würde heute Abend für ausgiebigen Klatsch und Tratsch im Gesindetrakt sorgen.
    Sie zwang sich, eine unbewegte Miene aufzusetzen und ihren
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