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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade
Autoren: Kiernan Celine
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würde jetzt mit Heron gehen, sprach es aus seinen Augen. Offenkundig gab es einiges zu klären. »Bleib bei ihnen«, sagte er und deutete mit sanftem Kopfnicken auf die Pferde. »Gib gut acht auf das Werkzeug. Iss etwas und ruh dich aus.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter – doch nur kurz.

    Wie gern hätte sie ihn gebeten, sich hinzulegen, auszuruhen, sich zu stärken. Aber sie hatten jetzt die Masken aufgesetzt, sie beide. Und statt töchterliche Besorgnis an den Tag zu legen, senkte sie respektvoll den Kopf, wie es ein Lehrling vor dem Meister eben tat, und sah ihm nach, als ihn Heron über den breiten Kiesweg mit sich fortnahm – in die königlichen Gemächer, hinein in die Geheimnisse des Reichs.

Shearings Geist
    Es war so still. Mittagszeit im Hochsommer, alle ruhten sich aus oder suchten Kühlung im Fluss am Rande der Ländereien. Wynter wusste, dass die Gärten erst am Abend wieder zum Leben erwachen würden, wenn die Temperaturen erträglich geworden waren. Im Augenblick hatte sie das ganze Schloss für sich allein – ein seltenes Glück.
    Sie ließ die Pferde in ihrem angenehm dämmrigen Stall zurück und durchmaß die flirrende Hitze des von roten Backsteingebäuden umgebenen Innenhofs. Ihre Schritte wurden von den Mauern der Stallungen zurückgeworfen. Zarte Schwalben durchschnitten flatternd die Sonnenstrahlen, warfen kurze Schatten in der Luft. Das Schnauben zufriedener Pferde und der süße, träumerische Geruch von Dung taten ihr wohl.
    Zu Hause, endlich zu Hause ! Alles schien ihr zuzurufen: Du bist zu Hause!
    Am gelben Taubenschlag wandte sie sich nach links, kürzte durch die schattigen Bäume ab und kreuzte den Eibenpfad auf dem Weg in den Küchengarten. Die Luft war hier kühler und roch nach Harz. Mit breitem Lächeln spazierte sie über die verschlafenen, von der Sonne beschienenen Wege und Säulengänge, nahm die altvertrauten Ecken und Winkel in sich auf, ließ sich ausgiebig Zeit.

    All die Jahre im grauen, feuchten Norden hatte sie im Stillen Heimweh gelitten, und zur Linderung dieses unausgesprochenen Sehnens hatte sie jeden Abend in ihrem Herzen ebendiesen Spaziergang aufleben lassen, hatte Nacht für Nacht in süßen Träumen genau diese Strecke von den Stallungen zur Küche abgeschritten. Und nun war sie wirklich und wahrhaftig hier, folgte auf inzwischen älteren Füßen dem fröhlichen Pfad ihrer Kindheit. Wie gern hätte sie Razi und Alberon bei sich gehabt oder vielleicht die Katzen, die ihr wie früher, warmem Rauch gleich, um die Knöchel streichen und Gesellschaft leisten würden.
    Als sie in den hellen Kalksteinhof bog, sah sie sich zu ihrer Überraschung zwei Mädchen am Brunnen gegenüber. Unbekannte Gesichter – oder womöglich waren sie einfach nur erwachsen geworden. Das unbefangene Plätschern ihrer Stimmen stockte bei Wynters Anblick, und die beiden drehten sich zu ihr um. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, schob Wynter die Werkzeugrolle höher auf die Schulter und ging mit unveränderter Geschwindigkeit weiter.
    Der Weg würde sie bis auf sechs oder sieben Fuß an die Mädchen heranführen, bevor er sich mit der nächsten Biegung wieder entfernte. Keine von beiden ließ Wynter aus den Augen. Sie waren ungefähr in ihrem Alter oder ein, zwei Jahre jünger, dreizehn vielleicht, rosig und drall, mit rundlichen Armen, die Gesichter durch die breiten Krempen ihrer Strohhüte abgeschirmt. Das größere Mädchen war eine Brunnenmagd und hier, um Wasser zu holen. Ihre Kübel standen leer auf dem Brunnenrand, das Tragjoch balancierte sie auf einer Schulter. Das andere Mädchen war jünger, als Wynter anfänglich angenommen hatte, etwa zehn Jahre alt. Sie war eine Gänsehirtin, und während sie Wynter von Kopf bis Fuß musterte, klopfte sie sich versonnen mit einer Rute auf den gestreiften Rock.

    Nicht Wynters Männerkleidung fesselte die Mädchen so. Frauen reisten häufig in Hosen und kurzen Jacken, und es war offensichtlich, dass sie bis vor kurzem noch unterwegs gewesen war, der durchdringende Geruch nach Pferdeschweiß und Lagerfeuer verriet es. Auch lag es nicht so sehr daran, dass Wynter eine Fremde war; im Palast gingen stets Besucher ein und aus. Nein, es war das Lehrlingsgewand, das ihre Neugier weckte.
    Wynter sah, wie die Augen der Mädchen über sie glitten, von den straff zum Zopf gebundenen Haaren bis zu dem roten Hemd mit dem aufgestickten Tischlerwappen. Beides verriet ihnen, dass Wynter bereits seit vier Jahren in der Lehre war. Dann sank ihr Blick
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