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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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nicht mein Dienstherr, ich bin nicht ihr Priester oder auch nur Schulmeister. Öffentlichkeit als Partner? Ich finde glaubwürdigere Partner. Also nicht weil ich meine, die Öffentlichkeit belehren oder bekehren zu müssen, sondern weil man, um sich überhaupt zu erkennen, ein imaginäres Publikum braucht, veröffentliche ich. Im Grunde schreibe ich aber für mich selbst ... Lynn protestiert gar nicht; es klingt überzeugender (auch für mich) als erwartet.
     
    YOU ARE A RICH MAN, I AM SURE, BUT THIS IS A BUSINESS LUNCH, YOU SHOULD NOT PAY FOR THIS, IT’S JUST SILLY.
     
    Neulich (aber das ist auch schon vor Jahren gewesen) habe ich ihn in Zürich zufällig auf der Straße (Limmatquai) von weitem gesehen; ein schwerer Mann jetzt. Wir haben zusammen das Gymnasium in Zürich besucht. Ob er mich ebenfalls erkannt hat, keine Ahnung; er drehte sich nicht um, und ich war betroffen, daß ich ihm nicht sofort nachging, sondern einfach stehen blieb. Also sah ich ihn bloß noch von hinten. Ohne Hut. Seine breiten Schultern; er ist sehr groß, im Gedränge nicht zu verwechseln, und ich hatte ihn ja eben von vorne gesehen. Er hatte gradaus gestarrt, offensichtlich in Gedanken; jetzt blickte er hinunter auf den Asphalt, als habe er mich ebenfalls erkannt. Er weiß es und ich weiß es, was er für mich getan hat. Ich rief nicht einmal über die Straße, damit er sich umdrehe. Was soll W. mit meiner lebenslänglichen Dankesschuld? Und zudem weiß ich, daß ich alles in allem vor diesem Menschen nicht bestehen kann. In der Klasse war er immer der Erste, kein Streber; er war intelligenter als die andern, ohne es auf die leichte Schulter nehmen zu können, daß er intelligenter war, und so war er auch gewissenhaft; es war ihm eher peinlich, wenn die Lehrer ihn lobten. Um nicht einen Musterschüler abzugeben, konnte er ganz ruppig sein gegenüber den Lehrern. Nach der Schule begleitete ich ihn nach Hause, was für mich ein großer Umweg war, aber ein Gewinn; durch ihn hörte ich zum ersten Mal von Nietzsche, von Oswald Spengler, von Schopenhauer. Seine Eltern waren sehr reich. Das schien ihm aber unwichtig, kein Grund für Selbstbewußtsein. Eine Weltreisezum Beispiel, die er nach der Maturität hätte antreten dürfen, kam für ihn nicht in Frage, ein Auto auch nicht; alles Oberflächliche war ihm zuwider. Er war ein philosophisches Temperament; ich staunte, was sein Hirn alles denken kann. Auch war er sehr musikalisch, was ich nicht bin; Abende lang spielte er mir Platten von Bach, von Mozart, von Anton Bruckner und von andern, die ich noch nicht einmal dem Namen nach kannte; kein Mensch sei völlig unmusikalisch, sagte er. Ich schrieb für Zeitungen und war stolz, wenn die kleinen Sachen gedruckt wurden; mein Geltungsdrang, glaube ich, war das erste, was ihn an mir enttäuschte. Ich mußte Geld verdienen, das verstand er natürlich, aber was ich schrieb, war ihm peinlich. Er ermunterte mich zu zeichnen. Diesbezüglich fand er mich nämlich nicht unbegabt. Auch sein Urteil für bildende Kunst war ungewöhnlich, nicht bloß angelesen; es entsprang seiner eignen Sensibilität. Ich traute mich aber nicht zu zeichnen, obschon er mich doch ermunterte, hingegen lernte ich von ihm, was man in Bildern sehen kann. Sein Vorsprung in philosophischer Begrifflichkeit war bald zu groß, als daß ich sein Gesprächspartner hätte werden können; er sagte kaum noch, was er zurzeit gerade las, und es mag sein, daß ich das eine und andere, was bei Sigmund Freud steht, für seine eigenen Funde hielt, ohne daß er es auf solche Täuschung anlegte. Es war einfach unergiebig, Quellen zu nennen, die ich damals nicht kannte. Also ermunterte er mich zu zeichnen. Er selber gab das Cello wieder auf, weil sein Spiel, obschon er leidenschaftlich übte, seinen hohen Ansprüchen nicht genügte; er hatte zu schwere Hände dafür. Überhaupt machte W. es sich schwer. Seine Eltern wußten natürlich, daß er das Geschäft nie übernehmen würde; erst später trat er dem Verwaltungsrat bei, auch das nur ungern. Eine Zeitlang hatte er Medizin studiert, die ersten Examen bestanden; ich verstand nicht ganz, warum er die Medizin aufgeben mußte. Es geschah keinesfalls leichtsinnig. Später malte er, und ich bewunderte, was er hervorbrachte; es war alles andere als virtuos, aber elementar. Ein ungewöhnlicher Mensch; kein Zweifel, er hatte es schwerer als wir alle. Übrigens war er mir auch körperlich überlegen; seine Eltern hatten einen eigenen Tennisplatz im Garten,
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