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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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Mittwoch, ich bin gesund, diese willkürliche Verfügung einer Behörde, die gar nicht Bescheid weiß, einer Behörde ohne Adresse übrigens; keine Chance, Rekurs anzumelden.
     
    Ein andrer Traum:
     
    sie munkeln. Wer? Der Sarg meines Vaters sei geplatzt, das habe ich nicht gewußt, verstehe es aber. Man wird verrückt werden vor Enge. Sie geben mir etwas Süßes, womit man Kinder vertröstet. Passanten. Plötzlich sehe ich nicht ein, warum ich mich in den Sarg legen soll. Sie haben schon eine Art von Kahn bestiegen, alle in Schwarz, sie stehen in diesem Kahn mit langen Rudern. Zürichsee. Es hindert mich niemand, ich laufe, am Geländer finde ich eine lange Rettungsstange, die sich zur Not als Ruder verwenden läßt; nur ist es mühsam, da die Stange keine Schaufel hat. Aber ich werde es ihnen schon zeigen. Ich kann mich nicht erinnern, worauf ich stehe; eine Art von Floß, ein Brett? Ich stehe und rudere neben ihnen her. Jemand hat mir verraten, wohin sie rudern. Als ich sie endlich eingeholt habe, jetzt neben ihrem Kahn rudere, reden sie mich nicht an; ich höre, was sie reden. Ihr braucht nicht zu munkeln! Sie munkeln auch gar nicht; jetzt wird ihm die Lunge zerplatzen, sagen sie. Kein Zweifel für sie, daß es aus ist mit mir. Das hat noch gefehlt, daß ich rudere. Sie haben angenommen, daß es mir leichterfalle, daß ich keine Schererei mache, daß ich mich nicht wehre. Es bleibt dabei: wir rudern zum Begräbnis. Das sehe ich aber nicht ein, da ich, wie sie sehen, imstande bin zu rudern. Sie sprechen jetzt nicht mehr mit mir; es eilt.
     
    TRATTORIA DA ALFREDO
     
    ich gestehe, daß ich diese Trattoria nicht zufällig entdecke; ich habe sie gesucht, als gäbe es hier ein Gefühl abzuholen: A CAUSE D’UNE FEMME . Ich möchte hier nicht erkannt werden und stehe nur so lang, bis die Pfeife angezündet ist; ein Passant, der hier nichts verloren hat. Gefühl der Scham, daß ich hier stehe zwei Jahre später; Warten auf Grün. Übrigens habeich die kleine Trattoria nur von außen gesehen; die Stühle auf den kleinen Tischen. Denn es ist früher Vormittag. Um das Interieur zu erkennen, müßte man das Gesicht nahe an die spiegelnde Fensterscheibe halten, die beiden Hände als Scheuklappen, um die Spiegelung zu durchschauen. Das habe ich nicht getan. Es hat mich erschreckt, als ich in der Scheibe meine Gestalt gesehen habe. Sobald dann wieder Grün ist, weiß ich: Eine natürliche Geschichte. Hätte ich denn Schüsse abgegeben? Immerhin habe ich jetzt vergessen, wohin ich eigentlich habe gehen wollen, gehe aber. Ohne Mantel. Es ist kühl, Frühling wie damals, ein klarer blauer Vormittag mit Wind vom Meer. Im Gehen lese ich jede Reklame genau, obschon ich anderes zu tun hätte.
     
    DIE WAHRHEIT IST DEM MENSCHEN ZUMUTBAR
     
    sie kann diesen Satz nicht leiden. Ein Zitat. Sie findet es Kitsch. Was heißt schon Wahrheit! Wir haben gestritten darüber, was Kitsch ist.
     
    MY LIFE AS A MAN
     
    heißt das neue Buch, das Philip Roth gestern ins Hotel gebracht hat. Wieso würde ich mich scheuen vor dem deutschen Titel: Mein Leben als Mann? Ich möchte wissen, was ich, schreibend unter Kunstzwang, erfahre über mein Leben als Mann.
     
    GIACOMETTI :
     
    seine Ausstellung in diesem unmöglichen Museum mit der Spiral-Rampe; Vernissage mit tausend Smokings und mit Damen in langen Roben; dazu sein übergroßes Foto-Porträt: dieses Gesicht! ... Wer oder was verleiht Rang? Die Leistung tut es zum Teil. Verleiht einer den Rang sich selbst? Auch der Gescheiterte kann Rang haben. Wodurch? Rang bedeutet noch nicht Ruhm. Ich kenne Leute, die ihren Ruhm verloren haben zur Lebzeit; der Rang ist ihnen geblieben. Rang ist nicht der Glanz des Siegers. Wie bekundet sich Rang? Ich bin Leuten von Rang begegnet, Männern und Frauen, älteren und jüngeren, berühmten und anderen; ich bin Giacometti nie begegnet. Die Begegnung mit Leuten von Rang (sie müssen nicht von der gleichen Fakultät sein) macht Mut auf merkwürdige Weise; sie bedienensich nicht des Lobes, um Mut zu machen. Sie verleihen Rang, ob sie zustimmen oder widersprechen; noch eine Fehde führen sie in der Erwartung von Rang. Solche Erwartung kann natürlich enttäuscht werden. Bei Leuten von Rang besteht die Erwartung von Rang nicht blindlings, aber unabhängig von Erfolg oder Nichterfolg; sie selber setzen die Maßstäbe. Das kennzeichnet sie untrüglicher als ihre Leistungen, die der andere in vielen Fällen ja nicht beurteilen kann. Ihr Rang beglänzt ihre Leistung. Sie
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