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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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darin stimmt: Staatsangehörigkeit, Anzahl der Kinder, Brillenträger mit untersetzter Statur, Hobby Pingpong.
     
    Abends aus dem Flugzeug, nachdem man die Gürtel aufschnallen darf, wäre auf der linken Seite zu sehen eine grau-grünlich-braune Landzunge mit Leuchtturm, die gelben Untiefen nur durch die Rüsche der Brandung getrennt vom festen Land; das Meer, das offene, ist auch auf der rechten Seite zu sehen: wie stumpfer Filz, später wie Schiefer (Quarzit) hart ... Am letzten Tag sah ich Lynn zum ersten Mal in ihrem Office, vorher im Korridor, wo ich hatte warten müssen. Sie kam fröhlich. Ihr Office ist klein, die Aussicht aufregend. Wir mußten noch ein wenig warten, bis es zwölf Uhr wurde; Lynn auf der Fensterbank: wenig Undine jetzt, ihr Gehaben sehr amerikanisch (was heißt das?) und werktäglich. Die Türe zu ihrem Office blieb offen; als eine Kollegin hereinschaute, stellte Lynn mich vor. Sie bat noch darum, daß ich ein Buch signiere, und dann konntenwir gehen, LUNCHTIME , der Lift war gepfercht voll, und jemand unterhielt sich mit Lynn, die weniger sonnengebräunt ist als ich; offenbar antwortete sie witzig, ich verstand zu wenig. Ich ging allein durch die Pendeltüre und wartete draußen. Als Lynn nicht kam, galt unsere Abmachung für alle Fälle; ich ging allein zu dem Restaurant, wartete an der Bar. Offenbar brauchte es ein Manöver, um die Person loszuwerden; Lynn kam nach zwanzig Minuten. Ein französisches Restaurant, Zweiertisch neben Zweiertisch; kein Ort für trauliches Gespräch, und wir waren eher froh darum. Als man bestellt hatte, gab sie mir ein Geschenk; ich packte es aus. Ein Tabakbeutel genau von der Art meines Tabakbeutels, den Lynn einmal angefühlt hatte und der übers Wochenende irgendwo verloren gegangen war; versehen mit den Initialen. VERY NICE , sagte ich, BUT UNFAIR , denn Lynn hatte sich jedes Geschenk verbeten, ausgenommen meine OLIVETTI LETTERA 32, die sie brauchen konnte. TODAY I HAVE GOT MY PERIOD , sagt sie. Ich hatte noch im Hotel zu packen, aber nicht viel; also viel Zeit. Lynn hatte wenig Zeit, genau eine Stunde. Sie schlug vor, daß wir noch durch den Park gehen, das war nicht weit, UNITED NATIONS . Wir gingen ziemlich flink. I AM GOING TO MISS YOU , sagte sie mit hochgezogenen Augenbrauen wie jemand, der ein Versehen zugeben muß, und unter einer Verkehrsampel, wo sie fast noch mit dem gleichen Atem sagen konnte: COME ON, COME ON . Ich war übrigens zum ersten Mal in diesem Park. Ein greller Mittag, ohne Sonnenbrille fast unerträglich. Das Wasser glitzerte. Im Park viele Leute, die sich gaben, als genießen sie die sommerliche Sonne. Sie schien aber so grell, daß man eigentlich nichts denken und nichts empfinden konnte. Das Wasser war nicht blau, sondern schwarz; darauf glitzerte es wie Quecksilber. Wir lehnten am Geländer. Sogar die Möwen blendeten. Wir hatten wenig getrunken, das war es nicht. Das gibt es in den hohen Bergen: der weiße Schnee, der Fels dagegen fast schwarz, und wenn man hinaufschaut: Mittagsnacht ohne Sterne. Es war nicht heiß: ein scharfer Wind vom Wasser her. Die schwarzen Kähne und vor diesen Kähnen der glitzernde Gischt. Drüben der weiße Rauch aus einem Hochkamin. Licht wie bei Föhn; nicht nur auf dem Wasser glitzerte es, auch das Laub glitzerte. Wenn Leute in den Schatten gingen, so verschwanden sie. Die Fassaden aus Glas spiegelten das Schattendunkel auf den Fassaden gegenüber; die gespiegelten Architektur-Formen etwas verzerrt. Wir waren nicht schweigsam, nur weiß ich nicht, was wir redeten. Das Zinkblech der Brüstung, wo wir unsere Ellbogen stützten, glitzerte wie Glimmer.Am Himmel blinkte ein Flugzeug. Dann blickte Lynn auf ihre Uhr; wir hatten noch etwas Zeit, aber es war nichts mehr anzufangen mit dieser Zeit. Wir hatten uns auf eine steinerne Rampe gesetzt, wo Paare saßen; über uns das gleißende Metall von tausend Fensterrahmen. Wo man hinschaute: dieses Licht, Glitzern oder Gleißen. Es freute sie, daß mich der Tabaksbeutel freute; genau der richtige, das dunkle Leder ist zärtlich anzufühlen. Wir beklagten es nicht, daß ich heute fliegen muß. Wir schauten bloß: die Möwen, die schwarzen Kähne mit dem Gischt, den sie vor sich her wälzen. Lynn blickte auf die Uhr, ich nahm die Hand von ihrer Schulter. Um uns zu küssen, waren wir aufgestanden. Leichter als jetzt, als wir über eine grelle Freitreppe gingen, kann man nicht gehen. Wir mußten jetzt nur noch den genauen Ort finden, wo man sich trennt, und auf
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