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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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diesen Jahren. Du machst anderes. In der Morgenfrühe versuche ich mich mit der Sense oder mit der Axt, um den Dschungel zu lichten, später mit einer entliehenen Motorsäge. Wir bleiben Städter. Die Leute im Dorf nennen Dich nicht: SIGNORA , da wir nicht verheiratet sind; sie sagen: MARIANNE , und wenn Du nicht zugegen bist: LA MARIANNE , aber nie: LA SIGNORINA . Einmal möchtest Du auch Schafe sehen in unserem Gelände, nicht nur die vielen zugelaufenen Katzen; ich lasse einen Zaun errichten und kaufe vier Schafe, darunter ein schwarzes. Wenn man sie im Gelände sieht, so stehen sie immer in derselben Richtung, alle vier, sie tun und lassen immer dasselbe. Drei werden von einem wildernden Hund zerrissen; das letzte verschenken wir dann. Langsam beginnen die Sommer auf dem Land sich zu gleichen ... Zu beschreiben wäre die eine und andere Speise, die Du erfunden hast/wie Du jüngere und alte Leute gewinnst, so daß sie gern ins Haus kommen/wenn wir in den kalten Bächen schwimmen, wenn ich die Flasche entkorke, die wir im Bach gekühlt haben: Deine frohe Anwesenheit/ der Haufen von Büchern (hauptsächlich Deutsch, aber auch Englisch, Französisch, Italienisch) auf dem Boden neben Deinem Bett/wie Du viele Leute beschenkst/Deine kindliche Aufregung vor Geburtstagen/wie Du, eine Frau, auf dem Fahrrad sitzest und dabei eine Mädchenzeit sichtbar machst/Dein Arbeitstisch, das Tohuwabohu von schweren Wörterbüchern und beschriebenen Blättern und weißen Blättern und Zeitschriften der literarischen Avantgarde und Briefmarken und Magazinen mit Mode, die Du nicht trägst, und Briefen, die beantwortet sind/Dein mütterlicher Kummer mit meiner Arbeit/Dein lederner und vom Regen verwaschener Texas-Hut, wenn ich ihn im Gedränge am Bahnhof erkenne, und Orte, die ohne Dich anders sind: PRAG, WARSCHAU, AVIGNON, PARIS, LENINGRAD, ODESSA, VENEDIG, LONDON, JERUSALEM, MANHATTAN etc. und der kleine Steintisch im Tessin –
     
    DIES IST EIN AUFRICHTIGES BUCH, LESER
     
    und was verschweigt es und warum?
     
    FIFTH AVENUE
     
    eine Dame in einem langen weißen Kleid und mit einem weißen Hut, Mode der Jahrhundertwende; eine Irre: ihre Hände betasten das Gestein oder Metall der Fassaden, als wolle sie sich versichern, daß alles da ist. Hände wie Fühler. Sie kann nicht blind sein, denn sie wartet bei Rotlicht. Die meisten Passanten bemerken sie gar nicht; sie geht langsamer als die andern, aber sie versperrt niemand den Weg; sie geht nahe an den Fassaden. Wo Glas ist, sieht es aus, als betaste sie behutsam ihr Spiegelbild; sie scheint glücklich zu sein. Einmal gehe ich vor, um dann, indem ich mich unter einem Vorwand umdrehe, ihr Gesicht zu sehen. Sie ist glücklich. Es kommt vor, daß sie plötzlich stehen bleibt, als sei sie jetzt ins Leere geraten, und dann einige Schritte zurückgeht. Ihre Finger berühren das Material kaum, manchmal gar nicht; es sieht aus, als taufe sie es nur, damit es da ist, auch das häßliche Material. Ob sie Menschen sieht? Ihr Gewand ist komisch, aber gemeint als festliche Robe. Übrigens geht sie barfuß, was ich erst nach einer Weile bemerke. Dann und wann spricht sie. Dazu macht sie Gesten einer verhohlenen und großen Zärtlichkeit. Es scheint ein besonderer Tag für sie zu sein, ein Tag der Erfüllung, eine Gegenwart.
     
    Helen Wolff, die Verlegerin, ist alles in allem zufrieden mit der Presse. Die Blumen, jetzt in einer Vase auf ihrem Arbeitstisch, erfreuen die Verehrte. Grüße nach Europa, Grüße an die gemeinsamen Freunde in Berlin, Uwe, Günter ... Anderswo verabschiede ich mich wortlos:
     
    WASHINGTON SQUARE :
     
    von den alten Schachspielern an den steinernen Tischen unter den grünen, jetzt schon sommerlichen Bäumen.
     
    SHERIDAN SQUARE :
     
    von der Grünspan-Statue eines Mannes, der Sheridan geheißen hat und auf dem Hut zwei gurrende Tauben trägt.
     
    BIGOLOW :
     
    von den flinken Frühstückmachern.
     
    8TH STREET :
     
    von dem Tabakmann, der schon weiß, was ich rauche, und der jedesmal, wenn draußen schönes Wetter ist, freundlich darauf verweist.
     
    CHINESE LAUNDRY :
     
    von dem spindeldürren Chinesen, der doch das verschwitzte Pingpong-Hemd noch gewaschen und gebügelt hat.
     
    BALDUCCI :
     
    von dieser Auslage schöner Früchte.
     
    TRATTORIA DA ALFREDO
     
    von ihrem Freund, der sich wundert, daß ich zum ersten Mal in dieser kleinen Trattoria bin. Seinerzeit bin ich gebeten worden, nie in diese Trattoria zu gehen, und ich habe mich dran gehalten. Die
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