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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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Offenheit zwischen uns, jetzt möglich, bleibt maßvoll. Wir haben andere Themen. Es stimmt: das Essen in dieser Trattoria ist nicht teuer und schmeckt; das Ambiente italienisch ohne Klimbim, die Intelligenz als Kundschaft, und Alfredo, der Patron, weiß es zu schätzen, wenn jemand italienisch mit ihm redet. Da es hier keinen Schnaps gibt, gehen wir nachher in seine Wohnung: nicht weit von hier. Sieben Minuten zu Fuß. Er ist jetzt geschieden, die Wohnung unverändert, vor kurzem geweißelt; das INGRES -Plakat am gleichen Ort. Als seine neue Gefährtin nach Hause kommt, blickt er auf die Uhr: wo sie denn die ganze Zeit gewesen sei? Sie sei (das habe ich von Dritten gehört) brillant; sie begegnet mir mit unverhohlener Neugierde, nicht ganz unbefangen, dabei wach mit offenen Blicken, als vergleiche sie mich mit einem Steckbrief. Sie ist blond, das Haar nach oben gekämmt. Ich bleibe nicht lang; ich habe noch ein Geschenk zu kaufen, einen Western-Hut: A BROWN CAMPAIGN HAT . Wo findet man solche? Sie tun, als scherzensie. Drei Uhr; sie ist um elf Uhr aus dem Haus gegangen. Ich erzähle irgend etwas. Von West-Berlin und Ost-Berlin, glaube ich. Er will es wirklich wissen, wo sie überall gewesen ist seit elf Uhr. Sie lacht und zeigt ihre Einkäufe; nicht eben viel. Dafür vier Stunden? Sie interessiert sich für West-Berlin und Ost-Berlin. Sie kennt Paris recht gut. Sie macht gerne einen Kaffee. Er scherzt noch immer: wenn man im Office anruft, so macht sie Einkäufe oder ist in der Bibliothek gewesen, wo man nicht anrufen kann, und wenn man nicht im Office angerufen hat, so ist sie die ganze Zeit im Office gewesen. Sie lacht; er nicht.
     
    SWISS BANK CORPORATION :
     
    von meinem Konto.
     
    HOTEL LOBBY :
     
    von Mark und Inger, denen ich das geliehene Geschirr und Besteck zurückgebe mit Dank, mit Wangenküssen links und rechts.
     
    SENATOR LOUNGE :
     
    von Toni Zwicker, der frohen Landsmännin, die mich einmal mehr zum Flughafen gefahren hat, mit Wangenküssen rechts und links.
     
    Es wird Zeit, nicht bloß an den Tod zu denken, sondern davon zu reden. Weder feierlich noch witzig. Nicht von Tod allgemein, sondern vom eigenen Tod. Ich bin, gemessen am Alter, ziemlich gesund. Der Arzt findet nichts. Müdigkeiten nach zuviel Alkohol, Kopfschmerzen bei Föhn etc., das ist nicht Krankheit. Trotz unvorsichtiger Lebensart ist es zu keiner Leberzirrhose gekommen. Hin und wieder Herzbeschwerden. Das kenne ich seit zwanzig Jahren. Kein Schmerz. Wenn ich’s einem Arzt beschreiben muß: ein Gefühl von Engnis, von Schwäche; Bedürfnis nach Atem, das dann mühsam ist. Ich sage dem Arzt: wie wenn eine Hand um das Herz greift, eine Pranke ohne Krallen, nämlich es sticht kaum. Es vergeht nach zwei Stunden oder schon nach einer Viertelstunde, meistens läßt es sich machen, daß niemand es bemerkt. Wenn ich allein bin, verbindet es sich mit Angst; keine eigentliche Todesangst. Liegen ist ganz schlecht; im Sitzen ist es die Angst, aus dem Sessel aufzustehen; ich kann mir dann nichtvorstellen, irgend etwas zu machen, zum Beispiel eine Straße zu überqueren. Untersuchungen von Zeit zu Zeit ergeben jedesmal dasselbe: ein ideales Kardiogramm. Medikamente? Rat des Arztes: Nehmen Sie einen Cognac. Die Nieren in Ordnung, die Lunge in Ordnung. Weniger Rauchen wäre besser. Der Verdacht auf Krebs, der so viele begleitet bei jedem Husten oder Magenschmerz, begleitet mich nicht. Ich bin selten krank gewesen. Ich träume viel vom Tod. Auch wenn kein Traum mich mahnt, kommt es vor, daß ich mit Schrecken erwache: Ich bin jetzt 61, 62, 63. Wie wenn man auf die Uhr blickt und sieht: So spät ist es schon! Die Angst vor dem Alter ist melancholisch, das Todesbewußtsein etwas anderes; ein Bewußtsein auch in der Freude. Wie jedermann fürchte ich mich vor einem qualvollen Sterben. Wenn ich vor einer Reise meine Sachen zu ordnen versuche, so ist es eine nüchterne Verrichtung. Ich bin jetzt älter geworden als mein Vater und weiß, daß die durchschnittliche Lebenserwartung demnächst erreicht ist. Ich will nicht sehr alt werden. Meistens bin ich mit jüngeren Leuten zusammen; ich sehe den Unterschied in allem, auch wo sie vielleicht keinen Unterschied sehen können, und manches läßt sich nicht erklären; dann rede ich auch von Arbeitsplänen. Unter anderem weiß ich, daß es sich verbietet, eine jüngere Frau an diese meine Zukunftlosigkeit binden zu wollen.
     
    Das Interview in der erbärmlichen Zeitung ist inzwischen erschienen. Einiges
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