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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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eingeladen hat, ist um Mitternacht gegangen; es ist das erste Mal gewesen, daß Lynn und er nicht allein gespeist haben. Das ist ihr Wunsch gewesen, und ihr Wunsch hat ihn gefreut; sie versteckt ihn nicht. Als ihre Freunde sich zum Aufbruch erhoben haben, da hat auch er seine Jacke angezogen: ohne Knopf. Das haben die Freunde verstanden: die letzte Gelegenheit, daß Lynn ihr Versprechen erfüllen kann, seine Jacke mit einem Knopf zu versehen. Nachdem sie gesagt hat: YOUR WIFE , sein Bedürfnis, sie im stillen zu lobpreisen, während Lynn immer noch an der Jacke näht, und seine Entdeckung dabei: Eigenschaftswörter taugen nicht, um jemand zu lobpreisen. Das ergäbe bloß einen Steckbrief auf eine attraktive Frau, zurzeit 35, zurzeit in Berlin, wo es fünf Uhr morgens ist, als Lynn sagt: YOU LOVE HER . Dabei hat er kein Wort gesagt, sondern das Geschirr in die Spülmaschine gestellt. Als sie fertig ist, lacht sie: YOUR DIRTY JACKET ! Es ist vier Uhr morgens, als er es anzieht. Lynn muß schlafen. Sie schläft schon, als er die Wohnungstüre von außen ins Schloß zieht, so leise wie möglich. In der menschenleeren Avenue genießt er die Vorstellung, Lynn sagen zu können, er sei dann eine Stunde lang gegangen, ohne überfallen worden zu sein. Es ist nicht mehr dunkel. Dampf wirbelt aus den Schächten, aus Gittern im Asphalt. Nach zehn Minuten sitzt er bereits in einem gelben Taxi, NO SMOKING , so daß er nicht weiß, was tun. Ihre letzte Nacht ist nicht melancholisch gewesen; aber sein Körper hat versagt. Er versucht mit dem Taxi-Griechen zu plaudern, hört nicht mehr zu, als ihm plötzlich einfällt, daß er nicht geprüft hat, ob ihre Türe, nur von außen ins Schloß gezogen, tatsächlich geschlossen ist oder mit einem Griff auf die Klinke zu öffnen wäre. Ein Einbruch, ein Mord, alles erscheint möglich. Er will anrufen, sobald er im Hotel ist; etwas Besseres fällt ihm in seinem Schrecken nicht ein. Er gibt einen Zwanzig-Dollar-Schein, ohne auf Wechselgeld zu warten, und dann dauert es Minuten, bis der Mann vom Nachtdienst endlich erscheint, zu schläfrig, um den Schlüssel sofort zu finden; man muß es drei Mal sagen: 1112 A (eigentlich 1113, aber sie meiden hier die 13). Als er endlich im Zimmer steht, ruft er nicht an; Lynn muß schlafen. Eine Weile sitzt er, ohne die Jacke auszuziehen, und denkt über Schlösser nach, während es draußen schon hell wird; die Wasser-Silosauf den Dächern bekommen eben die erste Sonne. Dann bemerkt er, daß er an gar nichts denkt; weder an gestern noch an morgen, nicht an heute. Dabei schläft er nicht; er sieht genau, was durch das offene Fenster zu sehen ist, die Fassade gegenüber. Er ist nicht müde oder zu müde, um sich ins Bett zu legen. Keine Gefühle; wenn er die Augen schließt, so sieht er ihr schlafendes Gesicht ganz nah. Es beschäftigt ihn nicht sein körperliches Versagen, wenn es ihm beiläufig einfällt. Die Fassade gegenüber: Backstein, die Fenster in Eisenrahmen, einige haben Vorhänge, blaue oder rote oder gelbe, alle Fenster haben diese Kiste für air-conditioning. In einem Erker steht eine Blattpflanze; eine Katze liegt auf dem Sims. Wenn man aufsteht, so sieht man mehr als nur diese Fassade: unten die Straßenkreuzung gelb unter dem Schein der Bogenlampen, und man sieht auf die Dächer der niedrigen Häuser; da und dort wirbelt Dampf oder Rauch in den morgendlichen Himmel, was anzeigt, daß die Häuser bewohnt sind. Die Leute schlafen noch. Einmal dröhnt ein Schiffstuten; drei Mal. Man sieht in Höfe hinunter, Schächte mit Garten. Er vergißt, daß er ein Bad hat einlaufen lassen; denn es dauert lang, bis er die Verbindung bekommt, bis eine Stimme sagt: OPERATOR , und bis es klingelt am anderen Ende. Keine Antwort. Lynn ist tot oder sie schläft. Er erinnert sich an das Bad und dreht den Hahn zu, zieht den Stöpsel heraus, geht in den Korridor hinaus, um den technischen Vorgang zu studieren: die Zimmertüre im Hotel, von außen ins Schloß gezogen, wie er ihre Türe ins Schloß gezogen hat, ist nicht ohne Schlüssel zu öffnen. Das beruhigt ihn. Zum Glück, aus Versehen, hat er den Zimmerschlüssel in der Hand, so daß er in sein Zimmer zurückkommt; dann legt er sich in den Kleidern quer aufs Bett –
     
    Lynn wird kein Name für eine Schuld.
     
    Zu beschreiben wäre ein steinerner Tisch ... Das Haus in Berzona, das wir auf einer Durchreise besichtigen bei strömendem Regen: ein Bauernhaus, das Gemäuer ziemlich verlottert, das Gebälk zum Teil
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