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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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nicht leisten kann, und ich habe schon von einer Löwenjagd in Afrika gehört oder von einer Yacht, die zur Zeit in Palermo verankert ist, doch nie von Preisen. Ich habe gedacht, für die Reichen spiele das Geld eben keine Rolle. Neuerdings verstehe ich: Reichsein ist für sie eine Art von Beruf, eine Aufgabe und keine geringe, sie sind nicht sorglos. Sie gönnen mir den Erfolg, das spüre ich, wie auch dem Friedrich Dürrenmatt, der in Neuenburg ein herrliches Haus haben soll. Ich höre, daß ihre Töchter mich geradezu mit Begeisterung lesen. Natürlich bin ich in ihren Augen nicht reich, immerhin fahre ich einen JAGUAR 420, und das bringt uns näher, so vermuten sie; kein Zweifel für sie, daß sich mit dem Vermögen auch die politische Gesinnung ändert. Ein Millionär als Sozialist, als Antikapitalist gar? Da sie Sozialismus als eine Ideologie des Neides verstehen, werde ich unglaubwürdig für sie; habe ich denn Anlaß zu solchem Neid? Als armer Schreiber zu Besuch habe ich diese Leute weniger irritiert. Was ich nie begriffen habe im eignen Fall: Geld als Macht. Es ist für mich dabei geblieben: Geld als Tauschmittel. Dabei stimmt etwas nicht, und ich weiß natürlich, was nicht stimmt. Ein jüngerer Freund, den ich verehre, bittet mich nicht um ein Darlehen, ich weiß bloß, daß er ein größeres Darlehen braucht, und ich kann es ihm geben: zinslos, denn es geht ja nicht, daß er, der Freund, arbeiten muß für mich, der ich reich bin. Genau das tun aber Angestellte und Arbeiter, die ich nicht kenne; sonst gäbe es keine Zinsen. Das ist es, was nicht stimmt. Einem Maler, der gern seinen Wein trinkt und mit dem Verkauf seiner Bilder wenig Glück hat, schicke ich zum sechzigsten Geburtstag sechzig Flaschen von seinem Wein. Er habe die Flaschen alle zerschlagenoder verschenkt, sagt er später. Ich bin im Ausland gewesen, daher nicht an seiner Vernissage, aber ich habe auch nicht einmal einen Brief geschrieben. Sechzig Flaschen, das gibt ein Millionär im Vorbeigehen wie einen Batzen! Ich verstehe seinen Zorn. Hätte ich nicht das Geld, so hätte ich vielleicht auch nicht geschrieben; es hätte ihn aber nicht verletzt. Mache ich jetzt ähnliche Fehler wie W.? ... Ich denke an Ingeborg und ihr Verhältnis zum Geld; eine Hand voll Banknoten, HONORAR , freut sie kindlich, dann fragt sie, was ich mir denn wünsche. Geld ist zum Verbrauchen da. Wie sie’s ausgibt: nicht wie Lohn für ihre Arbeiten, sondern wie aus der Schatulle einer Herzogin, einer verarmten manchmal. Sie ist Verzichte gewohnt; Geld eine Glückssache. Ihr Geld, mein Geld, unser Geld? Man hat es oder hat es eben nicht, und wenn es nicht reicht, so ist sie verdutzt, als stimme etwas nicht in dieser Welt. Sie beklagt sich aber nicht. Sie merkt es nicht, wenn sie vom Rundfunk, der sie umwirbt, viel zu schlecht bezahlt wird, und sie unterzeichnet mit zerstreuter Miene einen Vertrag, der den Verleger wenig ehrt. Sie rechnet nicht damit, daß die andern rechnen. Sie kauft sich Schuhe wie für einen Tausendfüßler. Ich weiß nicht, wie sie das macht. Ich erinnere mich nicht, daß je eine Ausgabe sie reut, eine hohe Miete, eine Handtasche aus Paris, die am Strand kaputtgeht. Geld verläßt uns so oder so. Wenn jemand, den sie liebt, an sich selber spart, so verletzt es ihre Liebe. Eigentlich stünde es uns beiden zu, ein kleines Schloß oder ein großes, aber sie ist nicht empört, daß andere es haben. Sie zu beschenken ist eine Freude; sie strahlt. Sie verlangt den Luxus nicht; wenn er da ist, so ist sie ihm gewachsen. Ihre Herkunft kleinbürgerlich wie die meine; nur ist sie frei davon. Ohne Ideologie; kraft ihres Temperaments. Wenn sie rechnet, dann rechnet sie mit Wundern. Wie bei manchen Frauen: Geldscheine in ihrer Tasche sind meistens zerknüllt, sie wollen verloren oder in Schöneres verwandelt werden. Zu meinem fünfzigsten Geburtstag lädt sie mich nach Griechenland ein.
     
    WHITE HORSE :
     
    die braun-düstere Bar, wo Dylan Thomas sich zu Tod getrunken hat, mit großen Spiegeln, die zeigen: draußen wäre Tag, kein sonniger, ein grauer und harter Sonntag. Ohne die polternden Lastwagen; das macht den Sonntag aus. Er hätte Zeit, um noch einmal an den Hudson zu gehen, und läßt es. Statt dessen blättert er in seinem kleinen Kalender 1974:Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober, November, Dezember, so viele offene Tage, die Wochentage weiß: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag. Dann bezahlt er das Bier, das er nicht ausgetrunken hat
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