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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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nannte die Namen der Gipfel, machte mich aufmerksam auf eine nahe Arve oder auf die unwahrscheinliche Beleuchtung, diese eigentümlichen Farben des Engadins, das er liebte, die Landschaft des Zarathustra, den ich auch gelesen hatte, nicht ganz begriffen vielleicht. Ich als der Schwächere konnte bestimmen, wann wir unsere Abfahrt fortsetzen wollen, W. drängte nicht, obschon er, ohne mich, längst in Pontresina hätte angekommen sein können; darum ging es aber nicht. Er schenkte mir sein Engadin. Ich liebe es noch heute. Was ohne W. aus mir geworden wäre, das ist schwer zu sagen. Vielleicht hätte ich mir mehr zugetraut, vermutlich zuviel. In einem gewissen Sinn hat W. mich immer ermuntert, zum Beispiel meine Schriftstellerei aufzugeben und Architektur zu erlernen. Ich erwartete nicht, daß W. meine paar Bauten besichtigte; sie hätten ihn enttäuscht, vermute ich, zu Recht. Und ihm hätte es auch leid getan, enttäuscht zu sein. Einige Jahre lang redete ich allerdings viel von Architektur, ohne ihn überzeugen zu können zum Beispiel von meinen Lehrern, später von Corbusier, von Mies van der Rohe, von Sarinen. Dann hatte er eine Miene, als redete ich von Musik, wovon ich im Grund, wie W. wußte, nichts begriff, oder von Philosophie. W. kannte mich eben schon: von der Schule her. Er ist ein bedeutender Sammler geworden. Vielleicht im nachhinein, aber erst im nachhinein fand ich, das eine und andere hätte ich mir nicht gefallen lassen dürfen. Ich habe W. nie gehaßt deswegen; es war mein Fehler. In der Villa seiner Eltern gab es Gemälde, die W. grauenhaft finden mußte, Erbstücke väterlicherseits, lauter Plunder in schweren Rahmen. Das meiste war schon im Keller gelagert. Sein Vater war eine Persönlichkeit nach Art der Gründerzeit, nur gar nicht musisch oder auch nur intellektuell; ich mochte ihn sehr, diesen Mann, wenn er am Kamin saß und nüchtern von der Jagd erzählte. Viele Gemälde zeigten Hirsche und Eber, Fasane, Hunde. Es war ein wohlwollender Vorschlag, ob vom Vater oder von der Mutter, die sich über solche Gemälde ebenfalls mokierte,oder von W., das weiß ich nicht mehr: Wenn ich diese Gemälde verkaufen könnte, so sollte ich am Erlös beteiligt sein, das heißt, ich könnte etwas Geld verdienen, ohne mein Studium deswegen zu vernachlässigen. Nur sollte die Maklerei nicht in der Villa vor sich gehen. Name und Adresse hätten Käufer angelockt, die sich gewundert haben würden. Es war mir nicht ganz wohl bei dem Vorschlag, anderseits fand ich es richtig, daß ich dem Haus, dem ich schon so viel verdankte, einmal einen Gefallen erweise. Es wurde eine Garage gemietet in einer andern Gegend der Stadt; auch die Inserate übernahm die Familie, Inserate dreimal wöchentlich, OCCASION/ALTE GEMÄLDE AUS PRIVATBESITZ . Man machte mir eine Liste der minimalen Preise; wenn ich teurer verkaufen konnte, so war es ja auch mein Vorteil, prozentual. Immerhin gab es auch zwei oder drei kleine Niederländer darunter, nicht signiert; immerhin könne man von einer Schule reden. Im übrigen fand W., es könnte für mich eine lustige Erfahrung werden, Makler zu spielen, Menschen kennenzulernen. Also stand ich drei Nachmittage in der Woche allein in der Garage voller Gemälde, wartete Stunden um Stunden. Tatsächlich kam der eine oder andere Antiquitäten-Händler, meistens heruntergekommene, aber gewitzte Leute. Nicht einmal die Rahmen interessierten sie, oft brauchte ich den Preis gar nicht zu nennen. Die Inserate erschienen weiterhin. Ein Advokat, der Firma des Vaters verpflichtet, kaufte eine große Magdalena mit nacktem Busen, die sich für Schlafzimmer eignet. Die Hirsche und Eber hatten es schwerer. Ich empfahl Landschaften, die nicht nur den Jäger ansprechen, Landschaft mit Windmühle im Gegenlicht oder mit Schilf. Die Frage, woher die Gemälde denn stammen, sollte ich nicht mit Namen beantworten, PRIVATBESITZ ; hingegen redete ich von einer niederländischen Schule, bis einer, ein schäbiger alter Herr, mir ins Gesicht lachte. Ob ich das denn selber glaube? Ich erinnere mich, daß es Frühling war, und um sechs Uhr, wenn ich mich auf mein Fahrrad setzen durfte, war ich glücklich, auch wenn ich nichts verkauft hatte. Wie es denn ginge, fragte W. nicht ohne Interesse, menschliches Interesse, denn Geld brauchte er nicht. Anderseits hatte W. nicht unrecht: ich konnte ja in der Garage auch lesen, sagte er. Das ganze Unternehmen, glaube ich, dauerte drei Wochen, also nicht sehr lange; auch verdiente ich
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