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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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tatsächlich etwas dabei, obschon ich immer sehr bald auf den untersten Preis ging. Kein guter Makler also; ich war gekränkt, als wäre ich weiß Gott wer, und dabei mußte ich mir sagen, daß mein Vater, ehedem Architekt, gegen das Ende seines Lebens auch Liegenschaftenmaklergeworden war. Das wußte W. natürlich. Er fand nichts dabei. Er hatte keine Vorurteile solcher Art. Als ich später in einem Scherz, der eben keiner war, nicht verhehlen konnte, daß etwas mich gekränkt habe, war es schmerzlich für W., ich sah seine Miene tiefer Betroffenheit. Schließlich hatte seine Familie mich ja nicht gezwungen, ich hatte den Vorschlag angenommen. Das mußte ich mir selber sagen. Zu einem Krach kam es nie. In jenen Jahren hatte W., wenn ich nicht irre, kaum andere Freunde, keine gleichaltrigen; er verehrte seinen Cello-Lehrer, einen alten Bildhauer in Zürich, einen Gelehrten, der im Haus verkehrte. Er hatte eine Freundin, war aber bedacht darauf, daß ich sie nicht kennenlernte; ein sehr unbürgerliches Mädchen, das er nie heiratete und nie vergessen konnte. Eine tragische Leidenschaft; über Jahrzehnte hin erzählte W. davon, einmal machten wir auf seine Bitte eine dreitägige Wanderung im Jura, weil es W. zu einer vollen Darlegung seiner Konflikte drängte. Was er zu sagen hatte, was zu sagen ihm schwerfiel, so daß er erst am zweiten Tag überhaupt davon anfangen konnte, zeigte einmal mehr seinen Reichtum an Gefühl, seine ungewöhnliche Intensität, sein Verantwortungsbewußtsein sowohl der Geliebten wie sich selbst gegenüber, ein unkonventionelles Verantwortungsbewußtsein allerdings. Ich empfand es als Auszeichnung, daß W. mich in seine vielfältigen Nöte einweihte, auch wenn ich seine Geliebte nie zu sehen bekam. Natürlich hatte ich keinen Rat. Auch Vaterschaft erlebte W. wie kaum ein andrer. Es wurde schwierig, als ich wieder mit meiner Schriftstellerei anfing, als diese veröffentlicht oder im Theater aufgeführt wurde, obschon ich wußte, was W. davon halten mochte. Wir trafen uns infolgedessen nur noch selten, dann ohne davon zu sprechen. Ich las auch mehr und mehr, was W. nicht las, und konnte ihn von nichts überzeugen; mein Interesse für gewisse Autoren machte ihn eher skeptisch gegen solche Autoren, zum Beispiel gegen Brecht, oder wenn sich herausstellte, daß wir denselben Autor bewunderten, Strindberg zum Beispiel oder Gide, so redete W. ungern darüber; er hatte sie für sich entdeckt und für sich bewahrt. Der Umstand, daß ich die Architektur aufgegeben hatte, machte mich in seinen Augen natürlich nicht zum Schriftsteller, und so redeten wir, wie gesagt, nie über meine Schriftstellerei, überhaupt immer weniger über Literatur. W. hatte einen andern Zugang zur Literatur. Ich begriff, daß W. meine Bücher nicht lesen konnte. Er hatte ein anderes Maß, dem sie nicht gewachsen sein konnten. Dabei gab W. sich Mühe; einmal besuchte er die Aufführung eines Stückes ( DIE CHINESISCHEMAUER ) und schrieb mir einen Brief, der ihm nicht leichtfiel, da sein Eindruck, freundschaftlich gesagt, mehr als zwiespältig war. Viele Jahre danach soll er nochmals die Aufführung eines Stückes besucht haben ( BIEDERMANN UND DIE BRANDSTIFTER ), jemand sagte es mir später. Er äußerte sich nicht mehr. Inzwischen waren wir Männer geworden. Schwieriger für ihn, so vermute ich, war mein Trend zur Politik. Davon redeten wir kaum. Die gesellschaftlichen Konflikte, die mir nach und nach bewußt wurden, sah W. in größeren Zusammenhängen; zwar hörte er zu, hob aber unser Gespräch in die philosophischen Fragen, wo ich meinem Thema nicht mehr gewachsen war. Ich erinnere mich: Im Weltkrieg, als man auch bei uns die Städte verdunkelte, fand W. es lächerlich und unnötig, daß auch die Villa seiner Eltern, die am Rand der Stadt lag, diese langweilige Order befolgen müßte; denn die Lichter einer einzigen Villa hätten den fremden Fliegern ja keinen Hinweis auf die Stadt geliefert, wenn diese verdunkelt war. Er war gegen Hitler, aber auch skeptisch gegenüber Demokratie, wo jede Stimme gleichviel wiege. Natürlich war W. durch sein Milieu verwöhnt; gerade darunter litt er auch. Es machte ihm Eindruck, als ich, ehedem sein Schulgenosse und Mittelmaß in der Klasse, meinen Lebensunterhalt verdiente, wie bescheiden auch immer. Das beschäftigte ihn, ich weiß es, als sein Problem. Seine Vorstellung, daß er nicht ebenfalls seinen Lebensunterhalt verdienen könnte, war natürlich unsinnig, sie bedrückte ihn hin und
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