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Mondscheintarif

Mondscheintarif

Titel: Mondscheintarif
Autoren: Ildikó von Kürthy
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ja», sage ich.
    «Hör zu, nur weil ich lesbisch bin, heißt das nicht, dass ich nichts von Frauen verstünde.»
    «Du bist lesbisch!?», schreie ich entgeistert.
    «Pssst, nicht so laut.»
    «Du bist lesbisch», flüstere ich begeistert.
    «Nun ja, in meinem Beruf sollte man so was nicht an die große Glocke hängen. Schließlich müssen mir die Zuschauer glauben, dass sich mindestens einmal die Woche ein stark behaarter Oberarzt in mich verliebt. Daniel ist mein Freund, seit er bei mir eine Reizung des Blinddarms diagnostiziert hat. Seither begleitet er mich manchmal zu öffentlichen Veranstaltungen,damit die Leute erst gar nicht anfangen, sich über meine sexuellen Neigungen Gedanken zu machen.»
    «Ja, aber wieso   …?» Mein Weltbild, mein Feindbild – alles brach in sich zusammen. Ich schätze es nicht, wenn man mich ohne Vorwarnung meiner sämtlichen Vorurteile beraubt.
    «Wieso er dir das nicht gesagt hat?»
    Ich nicke mitgenommen.
    «Warum ziehst du einen Wonderbra an, wenn du mit ihm verabredet bist? Warum tust du so, als würde er dir nichts bedeuten, obschon du bis über beide Ohren verliebt bist? Warum rufst du ihn nicht zehnmal am Tag an, wenn dir danach zumute ist? Du hast das Ich-bin-lässig-Spiel so gut gespielt, dass sich Daniel nicht sicher war. Er wollte auch ein bisschen cool wirken, deshalb hat er dich über uns nicht aufgeklärt. Ich habe ihm gleich gesagt, er soll das lassen, so was führt nur zu Verwicklungen. Aber als du dann nach eurer ersten gemeinsamen Nacht einfach abgehauen bist – da hattest du das Spiel gewonnen. Damit hast du ihn überzeugt, dass du es nicht ernst meinst. Meine Güte, der Mann ist unglücklich!»
    Ich schweige. Und schweige. Dann fange ich an, hysterisch zu kichern. Dann fange ich an zu heulen. Dann sprudelt es aus mir heraus.
    «WasbinichnurfüreineblödePute.Unddubistwirklichlesbisch? Dasistja,dasistja,dabeiwollteichdochnurcool,meinegütebinich bescheuertundduglaubstwirklichdasser   …!?»
    Ute-Carmen griff nach meiner Hand, und in diesem Moment hätte ich mich in sie verlieben können. Wenn ich nicht schon verliebt gewesen wäre. Ach, ich war verstört. Und glücklich. Und beschämt.
    «Als ich meine Freundin kennengelernt habe, war es genauso.»
    «Du hast eine Freundin?» Ich war fast ein bisschen enttäuscht.
    «Ja, seit vier Jahren. Ich traf sie bei einem Casting für irgend so eine völlig bescheuerte Nachtschwestern-Rolle. Sie istKamerafrau. Ich sah sie und brachte keinen vernünftigen Ton mehr raus. Die Rolle habe ich natürlich nicht bekommen. Und nachher gab’s noch so einen kleinen Umtrunk, und ich war zu allen nett, charmant, offen. Bloß sie habe ich behandelt, als hätte sie eine ansteckende Krankheit.»
    «Mmmh.» Ich nicke verständnisvoll.
    «Und am Ende des Abends – ich hatte schon mindestens zehn Telefonnummern von Verehrern und Verehrerinnen zugesteckt bekommen, die mich alle einen Scheißdreck interessierten – kam sie zu mir.»
    «Und?»
    «Sie fragte mich, ob wir nicht zu alt seien für solchen Kinderkram. Sie habe keine Lust mehr auf diese Spielchen, und wenn ich sie mögen würde, dann solle ich es ihr gefälligst zeigen. Sie sei schließlich keine Therapeutin und habe es satt, das dämliche Verhalten anderer Leute zu interpretieren. Seither sind wir ein Paar.»
    «Und, seid ihr glücklich?»
    «Ja, wir sind glücklich. Ich trage mich einmal in der Woche mit Trennungsgedanken, ich kann es nicht ausstehen, dass sie ihre Wäsche niemals in den Wäschekorb tut. Sie hält mich für eine oberflächliche T V-Chi -Chi-Else mit einem ausgeprägten Kontrollzwang und nötigt mich, nachts um zwei Grundsatzdiskussionen über die lesbische Frau in der westlichen Gesellschaft zu führen. Wir sind glücklich. Trotzdem. Oder deshalb. Keine Ahnung. Ich will keine andere Frau.»
    Ich bin so gerührt, dass ich leider wieder anfangen muss zu heulen. Ute trinkt ihr Glas aus und stellt es mit resoluter Geste auf den Tisch und winkt dem Kellner, der innerhalb von Nanosekunden neben ihr steht und untertänigst verspricht, die Rechnung zu bringen. Hi, hi. Vergebliche Liebesmüh. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ute eine Lesbe. Das finde ich irgendwie gerecht.
    «So. Und weißt du, was du jetzt tust?»
    «Ja, ich weiß», schluchze ich lachend.

23   :   58
    Nein, ich werde vorher keine Stimmübungen machen. Ich werde nicht Lloyd Cole auflegen. Ich werde mir nicht auf einem Zettel notieren, was ich sagen soll. Schließlich sind wir ja nicht
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