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Mondscheintarif

Mondscheintarif

Titel: Mondscheintarif
Autoren: Ildikó von Kürthy
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17   :   12
    Der Fuß ist eine weitgehend unerschlossene weibliche Problemzone. Ein Satz, wie in Stein gemeißelt.
    Der Fuß ist eine weitgehend unerschlossene weibliche Problemzone.
    So könnte ein Artikel in einer Frauenzeitschrift anfangen. Oder in ‹Psychologie Heute›. Oder so.
    Ich heiße Cora Hübsch, ich bin dreiunddreißigdreiviertel Jahre alt und gehöre zu der Mehrheit von Frauen, die auch in fortschreitendem Alter noch kein freundschaftliches Verhältnis zu ihren Füßen aufgebaut haben. Meine Zehen sind krumm wie die Zähne im Mund eines Schuljungen, der sich beharrlich weigert, eine Zahnspange zu tragen. In meiner Bauch-Beine-Po-Gruppe ist eine, deren Zehen sind so kurz, als seien sie ihr in jungen Jahren von einer scharfkantigen Glasplatte guillotiniert worden. Und meine Freundin Johanna hat Füße wie andere Leute Oberschenkel. In ihren Pumps hätten sich noch einige Zweite-Klasse-Passagiere von der Titanic retten können.
    Ich versuche, mich abzulenken. Betrachte angestrengt den Haufen Zehen an meinem Körperende, um nicht über Schlimmeres nachdenken zu müssen.
    Darüber zum Beispiel, dass heute Samstag ist. Schlimmer noch, es ist schon fast Samstagabend. Wann beginnt eigentlich der Abend? Gesetzt den Fall, jemand sagt: «Ich rufe dich Samstagabend an.» Was genau meint er dann damit? Heißt das: «Ich rufe dich um 18   Uhr an, um dich zu fragen, ob ich dich um 20   Uhr 30 abholen und zum teuersten Italiener der Stadt ausführen darf»?
    Oder heißt das: «Ich klingle gegen 23   Uhr mal durch, um anzutesten, ob du eine vereinsamte Mittdreißigerin bist, die am Samstagabend nichts Besseres vorhat, als auf den Anruf eines smarten Typen, wie ich es bin, zu warten, der sich einmal aus Langeweile dazu hat hinreißen lassen, mit dir ins Bett zu gehen»?
    Der Fuß ist eine weitgehend unerschlossene weibliche Problemzone.
    Nein, es hilft nichts. Die krummen Gesellen da unten können nicht länger für meine Minderwertigkeitskomplexe geradestehen. Ich heiße Cora Hübsch, bin dreiunddreißigdreiviertel und gehöre zu der Mehrheit von Frauen, die sich auch in fortschreitendem Alter hauptsächlich mit einer Problemzone rumschlägt.
    Freundinnen, lasst es uns so sagen, wie es ist: Die aller-aller-allerschlimmste weibliche Problemzone heißt: Mann.

17   :   17
    Ist es jetzt wirklich schon bald halb sechs? Gute Güte! Warum ruft der denn nicht an? Warum gibt es Dinge im Leben einer Frau, die sich niemals ändern? Die Frage, ob man nach einmal Sex bereits Anspruch auf eine Samstagabendverabredung hat, wurde bisher nicht hinreichend geklärt.
    Jemand müsste sich mal die Mühe machen, herauszufinden, wie viele Jahre ihres Lebens eine Frau damit verbringt, auf Anrufe von Männern zu warten. Bestimmt fünf. Oder zehn. Und dabei wird sie immer älter. Sie runzelt die Stirn, und das hinterlässteine hässliche Falte über der Nasenwurzel. Sie isst mehrere Tonnen weiße Schokolade mit Crisp, Erdnussflips und Toastbrot mit Nutella. Sie ruiniert ihre Figur und ihre Zähne und damit jede reelle Chance auf einen Anruf am Samstagabend.
    Muss aufhören, mein Selbstbewusstsein mit negativen Gedanken zu unterminieren.
    «Ich bin attraktiv. Ich bin eine begehrenswerte Frau. Ich bin schön. Ich bin eine begehrenswerte Frau. Ich bin   …»
    Telefon!
    Na bitte, es klappt doch.

17   :   22
    Das war Johanna, die wissen wollte, ob er schon angerufen hat. Johanna sagt, dass der grundlegende Unterschied zwischen Männern und Frauen nicht, wie gemeinhin angenommen, darin besteht, dass Männer den Innenraum ihrer Autos sauber und sämtliche ‹Stirb langsam›-Filme für kulturell wertvoll halten.
    Der wichtigste Unterschied zwischen Männern und Frauen ist, sagt Jo, dass Männer nicht auf die Anrufe von Frauen warten. Statt zu warten, tun Männer was anderes. Schauen ‹ran›, entwickeln ein Mittel gegen Aids, verabreden sich mit einer Blondine, lesen die Aktienkurse in der ‹FAZ›, machen Muskelaufbautraining. Oder so ’n Zeug. Und das Wichtigste daran ist: Sie tun es nicht, um sich vom Warten abzulenken. Sondern sie tun es, weil sie es tun wollen. Sie vergessen dabei, dass sie eigentlich warten. Deswegen sind Männer nie beim ersten Klingeln am Telefon und klingen immer so, als hätte man sie bei etwas gestört.
    Ich musste kurz nachdenken, um zu begreifen, was das bedeutete.
    «Das heißt ja», sagte ich schließlich, und es war, als hätte mir jemand nach jahrzehntelanger Blindheit die Augen geöffnet, «das
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