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Momo

Momo

Titel: Momo
Autoren: Michael Ende
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hatten die Zittern und Zagen nur gewartet. Unter Führung ihres Königs Xaxotraxolus unternahmen sie einen letzten Kriegszug und eroberten im Handumdrehen das ganze Reich.
Sie begegneten überhaupt keinem Soldaten mehr, und dem Volk war es sowieso gleich, wer es beherrschte. Als die Kaiserin Strapazia schließlich von der Sache erfuhr, rief sie die bekannten Worte Weh mir! O daß ich doch… Der Rest ist uns leider nicht überliefert.
Sicher ist jedoch, daß sie sich in dieses Aquarium stürzte und neben dem Fisch, dem Grab all ihrer Hoffnungen, ertrank. König Xaxotraxolus ließ zur Feier seines Sieges den Walfisch schlachten, und acht Tage lang bekam das ganze Volk gebratenes Fischfilet. Sie sehen daraus, meine Damen und Herren, wohin die Leichtgläubigkeit führen kann!“
Mit diesen Worten schloß Gigi die Führung, und die Zuhörer waren sichtlich beeindruckt. Sie betrachteten die Ruine mit ehrfürchtigen Blicken. Nur einer von ihnen war mißtrauisch und fragte: „Und wann soll das alles gewesen sein?“
Aber Gigi war niemals um eine Antwort verlegen und sagte: „Die Kaiserin Strapazia war bekanntlich eine Zeitgenossin des berühmten Philosophen Noiosius, des Älteren.“
Der Zweifler mochte nun natürlich nicht zugeben, daß er keine Ahnung hatte, wann der berühmte Philosoph Noiosius, der Ältere, gelebt hatte, und sagte deshalb nur: „Aha, vielen Dank.“ Alle Zuhörer waren tief befriedigt und sagten, diese Besichtigung habe sich wirklich gelohnt, und so anschaulich und interessant hätte ihnen noch niemand jene alten Zeiten dargestellt. Dann hielt Gigi bescheiden seine Schirmmütze hin, und die Leute zeigten sich entsprechend freigebig. Sogar der Zweifler warf einige Münzen hinein. Übrigens erzählte Gigi, seit Momo da war, nie mehr dieselbe Geschichte zweimal. Das wäre ihm viel zu langweilig gewesen. Wenn Momo unter den Zuhörern war, dann kam es ihm vor, als sei eine Schleuse in seinem Inneren geöffnet, und immer neue Erfindungen strömten und sprudelten hervor, ohne daß er überhaupt nachdenken mußte, im Gegenteil, er mußte oft sogar versuchen, sich zu bremsen, um nicht wieder zu weit zu gehen wie jenes eine Mal, als die beiden vornehmen, älteren Damen aus Amerika seine Dienste angenommen hatten. Denen hatte er nämlich keinen schlechten Schrecken eingejagt, als er ihnen folgendes erzählte: „Selbstverständlich ist es sogar bei Ihnen im schönen, freien Amerika bekannt, meine hochverehrten Damen, daß der überaus grausame Tyrann Marxentius Communus, genannt der Rote, den Plan gefaßt hatte, die gesamte damalige Welt nach seinen Vorstellungen zu ändern.
Aber was er auch tat, es zeigte sich, daß die Menschen trotz allem so ziemlich die gleichen blieben und sich einfach nicht ändern ließen. Da verfiel Marxentius Communus auf seine alten Tage in Wahnsinn. Damals gab es ja, wie Sie natürlich wissen, meine Damen, noch keine Seelenärzte, die solche Erkrankungen heilen konnten. So mußte man den Tyrannen eben rasen lassen, wie er wollte. In seinem Wahn verfiel Marxentius Communus nun auf die Idee, die bestehende Welt hinfort sich selbst zu überlassen und lieber eine vollkommen nagelneue Welt zu bauen. Er befahl also, einen Globus herzustellen, der genauso groß sein sollte wie die alte Erde und auf dem alles, jedes Haus und jeder Baum und alle Berge, Meere und Gewässer ganz naturgetreu dargestellt sein müßten. Die gesamte damalige Menschheit wurde unter Androhung der Todesstrafe gezwungen, an dem ungeheuren Werk mitzuarbeiten.
Zuerst baute man einen Sockel, auf dem dieser Riesenglobus stehen sollte. Und die Ruine dieses Sockels sehen Sie hier vor sich. Danach ging man daran, den Globus selbst zu bauen, eine riesenhafte Kugel, ebensogroß wie die Erde. Und als diese Kugel schließlich fertig war, wurde auf ihr sorgfältig alles nachgebildet, was sich auf der Erde befand.
Natürlich brauchte man sehr viel Material für diesen Globus, und dieses Material konnte man ja nirgends anders hernehmen als von der Erde selbst. So wurde eben langsam die Erde immer kleiner, während der Globus immer mehr wuchs. Und als die neue Welt schließlich fertig war, hatte man dazu haargenau das letzte Steinchen, das von der alten Erde noch übriggeblieben war, wegnehmen müssen. Und natürlich waren auch alle Menschen auf den neuen Globus umgezogen, denn der alte war ja verbraucht. Als Marxentius Communus erkennen mußte, daß nun trotz allem eigentlich alles beim alten geblieben war, hüllte er sein Haupt in
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