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Momo

Momo

Titel: Momo
Autoren: Michael Ende
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die Toga und ging davon. Wohin, hat man niemals erfahren.
Sehen Sie, meine Damen, diese trichterförmige Höhlung, welche die Ruine hier noch heute erkennen läßt, war früher das Fundament, das auf der Oberfläche der alten Erde ruhte. Sie müssen sich also das Ganze umgekehrt vorstellen.“
Die beiden feinen älteren Damen aus Amerika erbleichten, und eine fragte: „Und wo ist der Globus geblieben?“
„Aber Sie stehen doch darauf!“ antwortete Gigi. „Die heutige Welt, meine Damen, ist ja der neue Globus.“
Da schrien die beiden feinen älteren Damen entsetzt auf und ergriffen die Flucht. Gigi hielt vergebens seine Schirmmütze hin.
Am allerliebsten aber erzählte Gigi der kleinen Momo allein, wenn niemand sonst zuhörte. Meistens waren es Märchen, denn die wollte Momo am liebsten hören, und es waren fast immer solche, die von Gigi und Momo selbst handelten.
Und sie waren auch nur für sie beide bestimmt und hörten sich ganz anders an als alles, was Gigi sonst erzählte. An einem schönen, warmen Abend saßen die beiden still nebeneinander auf dem obersten Rand der steinernen Stufen. Am Himmel funkelten bereits die ersten Sterne, und der Mond stieg groß und silbern über den schwarzen Umrissen der Pinien empor.
„Erzählst du mir ein Märchen?“ bat Momo leise. „Gut“, sagte Gigi, „von wem soll es handeln?“
„Von Momo und Girolamo am liebsten“, antwortete Momo. Gigi überlegte ein wenig und fragte dann: „Und wie soll es heißen?“
„Vielleicht – das Märchen vom Zauberspiegel?“ Gigi nickte nachdenklich. „Das hört sich gut an. Wir wollen sehen, wie es geht.“
Er legte Momo einen Arm um die Schulter und fing an: „Es war einmal eine schöne Prinzessin mit Namen Momo, die ging in Samt und Seide und wohnte hoch über der Welt auf einem schneebedeckten Berggipfel in einem Schloß aus buntem Glas.
Sie hatte alles, was man sich nur wünschen kann, sie aß nur die feinsten Speisen und trank nur den süßesten Wein. Sie schlief auf seidenen Kissen und saß auf Stühlen aus Elfenbein. Sie hatte alles – aber sie war ganz allein.
Alles um sie herum, ihre Dienerschaft, ihre Kammerfrauen, ihre Hunde und Katzen und Vögel und sogar ihre Blumen, alles das waren nur Spiegelbilder.
Prinzessin Momo hatte nämlich einen Zauberspiegel, der war groß und rund und aus feinstem Silber. Den schickte sie jeden Tag und jede Nacht in die Welt hinaus. Und der große Spiegel schwebte dahin über Länder und Meere, über Städte und Felder. Die Leute, die ihn sahen, wunderten sich kein bißchen darüber, sie sagten einfach: Das ist der Mond. Und jedesmal, wenn der Zauberspiegel zurückkam, dann schüttete er vor der Prinzessin alle Spiegelbilder aus, die er auf seiner Reise aufgefangen hatte. Es waren schöne und häßliche, interessante und langweilige, wie es eben gerade kam. Die Prinzessin suchte sich diejenigen aus, die ihr gefielen, und die anderen warf sie einfach in einen Bach. Und viel schneller, als du denken kannst, huschten die freigelassenen Spiegelbilder zurück durch die Gewässer der Erde zu ihren Eigentümern. Daher kommt es, daß einem das eigene Spiegelbild entgegenblickt, sooft man sich über einen Brunnen oder eine Pfütze beugt. Nun habe ich noch vergessen zu sagen, daß Prinzessin Momo unsterblich war. Sie hatte nämlich noch nie sich selbst in dem Zauberspiegel gesehen. Denn wer sein eigenes Spiegelbild darin erblickte, der wurde davon sterblich. Das wußte Prinzessin Momo sehr wohl, und deshalb tat sie es nicht.
So lebte sie also mit all ihren vielen Spiegelbildern, spielte mit ihnen und war soweit ganz zufrieden.
Eines Tages geschah es jedoch, daß der Zauberspiegel ihr ein Bild mitbrachte, das ihr mehr bedeutete als alle anderen. Es war das Spiegelbild eines jungen Prinzen. Als sie es erblickt hatte, bekam sie so große Sehnsucht nach ihm, daß sie unbedingt zu ihm wollte. Aber wie sollte sie das anfangen? Sie wußte ja weder, wo er wohnte, noch wer er war, und sie kannte noch nicht einmal seinen Namen. Da sie sich keinen anderen Rat wußte, beschloß sie, nun doch in den Zauberspiegel zu blicken. Denn sie dachte: Vielleicht kann der Spiegel mein Bild zu dem Prinzen bringen. Vielleicht blickt der gerade zufällig in die Höhe, wenn der Spiegel am Himmel dahinschwebt, und dann sieht er mein Bild. Vielleicht folgt er dem Spiegel auf seinem Weg und findet mich hier.
Nun schaute sie also lange in den Zauberspiegel und schickte ihn mit ihrem Bild über die Welt. Aber dadurch war sie nun
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