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Momo

Momo

Titel: Momo
Autoren: Michael Ende
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zurückgegriffen. Seine Geschichten waren sozusagen zu Fuß gegangen, aber seit er Momo kannte, hatten sie plötzlich Flügel bekommen.
Besonders dann, wenn Momo dabei war und ihm zuhörte, blühte seine Phantasie auf wie eine Frühlingswiese. Kinder und Erwachsene drängten sich um ihn. Er konnte jetzt Geschichten erzählen, die sich in vielen Fortsetzungen durch Tage und Wochen zogen, und er war unerschöpflich an Einfällen. Übrigens hörte er sich selbst ebenso gespannt zu, denn er hatte keine Ahnung, wohin ihn seine Phantasie führen würde.
Als wieder einmal Reisende kamen, die das Amphitheater besichtigen wollten (Momo saß ein wenig abseits auf den steinernen Stufen), da begann er folgendermaßen: „Hochverehrte Damen und Herren! Wie Ihnen ja allen bekannt sein dürfte, führte die Kaiserin Strapazia Augustina unzählige Kriege, um ihr Reich gegen die ständigen Angriffe der Zittern und Zagen zu verteidigen. Als sie diese Völker wieder einmal unterworfen hatte, war sie so erzürnt über die unaufhörliche Belästigung, daß sie drohte, die Angreifer mit Mann und Maus auszurotten, es sei denn, deren König Xaxotraxolus überlasse ihr zur Strafe seinen Goldfisch.
Zu jener Zeit nämlich, meine Damen und Herren, waren Goldfische hierzulande noch unbekannt. Die Kaiserin Strapazia hatte jedoch von einem Reisenden erfahren, jener König Xaxotraxolus besitze einen kleinen Fisch, der sich, sobald er ausgewachsen sei, in pures Gold verwandeln würde. Und diese Rarität wollte die Kaiserin nun also unbedingt haben.
Der König Xaxotraxolus lachte sich ins Fäustchen. Seinen Goldfisch, den er tatsächlich besaß, versteckte er unter seinem Bett. Der Kaiserin aber ließ er statt dessen einen jungen Walfisch in einer juwelengeschmückten Suppenterrine überbringen.
Die Kaiserin war zwar etwas überrascht von der Größe des Tiers, denn sie hatte sich den Goldfisch kleiner vorgestellt. Aber, so sagte sie sich, je größer, desto besser, denn um so mehr Gold würde der Fisch ja schließlich liefern. Allerdings schimmerte dieser Goldfisch kein bißchen golden, und das beunruhigte sie. Aber der Abgesandte des Königs Xaxotraxolus erklärte ihr, erst wenn der Fisch ausgewachsen sei, würde er sich in Gold verwandeln, vorher nicht. Es sei deshalb unbedingt nötig, daß seine Entwicklung nicht gestört werde. Damit gab sich die Kaiserin Strapazia zufrieden.
Der junge Fisch wuchs nun von Tag zu Tag und verbrauchte Unmengen Futter. Aber die Kaiserin Strapazia war ja nicht arm, und der Fisch bekam so viel, wie er nur verdrücken konnte, und wurde dick und fett. Bald war die Suppenterrine für ihn zu klein.
]e größer, desto besser , sagte die Kaiserin Strapazia und ließ ihn in ihre Badewanne umquartieren. Aber schon kurze Zeit später paßte er auch in die Badewanne nicht mehr hinein. Er wuchs und wuchs. Nun wurde er in das kaiserliche Schwimmbecken gebracht. Das war bereits ein ziemlich umständlicher Transport, denn der Fisch wog nun schon so viel wie ein Ochse. Einer der Sklaven, die ihn schleppen mußten, rutschte aus, und die Kaiserin ließ den Unglücklichen sofort den Löwen vorwerfen, denn der Fisch war nun ihr ein und alles. Jeden Tag saß sie viele Stunden am Rand des Schwimmbeckens und sah ihm beim Wachsen zu. Sie dachte nur noch an das viele Gold, denn sie führte ja bekanntlich ein sehr luxuriöses Leben und konnte daher niemals genug Gold haben.
„Je größer, desto besser“, murmelte sie immer wieder vor sich hin. Dieser Satz wurde zur allgemeinen Richtschnur erklärt und in ehernen Lettern auf alle staatlichen Gebäude geschrieben. Zuletzt war dem Fisch aber auch das kaiserliche Schwimmbecken zu eng geworden. Da ließ Strapazia dieses Gebäude errichten, dessen Ruinen Sie hier vor sich sehen, meine Damen und Herren. Es war ein gewaltiges, kreisrundes Aquarium, bis zum obersten Rand mit Wasser gefüllt, und darin konnte der Fisch sich endlich so richtig ausstrecken. Nun saß die Kaiserin höchstpersönlich bei Tag und Nacht auf jener Stelle dort und beobachtete den Riesenfisch, ob er sich schon in Gold verwandle. Sie traute nämlich keinem mehr, weder ihren Sklaven noch ihren Verwandten, und hatte Angst, der Fisch könne ihr gestohlen werden.
So saß sie also da, magerte vor Angst und Sorge mehr und mehr ab, tat kein Auge zu und bewachte den Fisch, der lustig herumplätscherte und nicht daran dachte, sich in Gold zu verwandeln. Und mehr und mehr vernachlässigte Strapazia ihre Regierungsgeschäfte. Genau darauf
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