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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht
Autoren: Lukas Erler
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gelegt zu haben, seit wir den Bunker betreten hatten. Grygoriew ließ die Hand mit der Waffe auf seinen Oberschenkel sinken.
    »Er ist gekommen, um mir beizubringen, was das Wort ›Genosse‹ bedeutet«, zischte Elena, »so wie sie es Alexander Litwinenko beigebracht haben. Und Anna Politkowskaja!«
    Grygoriew zuckte gleichmütig mit den Schultern und fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand über den dicken Schnurrbart. Er hatte sich wieder unter Kontrolle. Es war, als hätte er mit dieser einfachen kleinen Bewegung den Wolf wieder in das Schiwago-Kostüm zurückgestopft.
    »Defätisten«, sagte er, »Abschaum und Nestbeschmutzer, die nicht begreifen wollen, worum es im neuen Russland geht. Litwinenko war ein Verräter und die Politkowskaja eine verrückte Schlampe, die mit Terroristen sympathisierte. Nicht weiter wichtig! Heute Abend ist etwas anderes wichtig.«
    Der Lauf der Pistole zeigte jetzt wieder auf Elena.
    »Du hast mich angelogen. In diesem Scheißhotel in Deutschland. Du hast gesagt, der Kaukasier, der dich angegriffen hat, sei in den schwarzen Van eingestiegen. In den Toyota mit dem belgischen Kennzeichen. Zu den anderen Tschetschenen.«
    »Ja«, sagte Elena, »so war es auch.«
    Grygoriew schüttelte den Kopf. Er schien wieder wütend zu werden.
    »Wir haben den Van angegriffen und zerstört.«
    »Ich weiß, wir haben die DVD bekommen. Vielen Dank.«
    »In dem Van waren keine Tschetschenen. Nicht ein einziger!«
    »Das kann nicht sein.«
    Elena schaffte es, ihrer Stimme einen verzweifelten, tonlosen Klang zu geben, aber Grygoriew ging nicht darauf ein.
    »Was ich begreife, ist Folgendes: Du wolltest die Männer in dem Van tot sehen. Und du hast gewusst, dass wir sie liquidieren würden, wenn du es schaffst, mir einzureden, dass sie etwas mit dem Attentat in der Kadetrinne zu tun hatten. Du hast mich benutzt, ich verstehe nur nicht, warum.«
    »Das ist nicht wahr!«, sagte Elena, die offenbar im Weiterlügen ihre einzige Chance sah, doch es war unverkennbar, dass Grygoriew jetzt drauf und dran war, die Nerven zu verlieren. Sein Gesicht hatte sich gerötet, und der Ton war von Satz zu Satz schärfer geworden. Das Doktor-Schiwago-Kostüm löste sich vor unseren Augen in seine Bestandteile auf, und auch der verbindliche Diplomat war verschwunden. Vor uns saß jetzt der harte Kern von Anatol Grygoriew. Ein russischer Nachrichtenoffizier, Auslandsspion und Verhörspezialist, dessen Karriere in den glorreichen Zeiten der Sowjetunion begonnen hatte und den das moderne Russland nicht weniger gut gebrauchen konnte. Er zielte mit der Pistole auf Anna und deutete dann auf die Feuerstelle.
    »Stell dich da drauf!«
    Sie stand auf und stellte sich in die Asche. Die Pistole auf Anna gerichtet, deren Hände immer noch auf dem Rücken gefesselt waren, wandte er sich an Elena.
    »Du erzählst mir, was genau passiert ist, oder ich schieße deiner Freundin erst ins linke und dann ins rechte Knie.«
    »Nein«, flehte Elena, »warten Sie. Bitte! Das ist ein Missverständnis.«
    Sie war aufgesprungen und hob beschwörend die Hände. Ihr verzweifeltes, blasses Gesicht war ein heller Fleck im unruhigen Licht von Grygoriews Lampe.
    »Setz dich wieder hin!«
    »Nein! Sie müssen mir zuhören! Denken Sie nach, das ergibt doch gar keinen Sinn. Warum hätte ich Sie anlügen sollen? Woher wollen Sie überhaupt wissen, dass die Männer in dem Van keine Tschetschenen waren?«
    »Du sollst dich setzen«, sagte Grygoriew und schwenkte den Lauf der Waffe in Elenas Richtung. Sie gehorchte und hockte sich wieder auf ihren Stein. Grygoriew seufzte und zog resigniert die Schultern hoch, wie ein Lehrer, der, am Ende seiner Geduld, einem zurückgebliebenen Schüler ein letztes Mal erklärt, warum er verdroschen wird.
    »Sie haben mich entlassen – wegen dieser Geschichte. Habe ich das erwähnt? Vierzig Jahre habe ich für das Land gearbeitet … und sie haben mich einfach gefeuert. Aussortiert. Auf den Müll geworfen. Oh, nicht weil es ein paar Tote gegeben hat. Sondern weil es die falschen Toten waren. Ich weiß das, weil die Männer in dem Auto identifiziert werden konnten. Sie waren sofort tot, aber nicht völlig verstümmelt. Es wurden drei Leichen gefunden, und bei jeder konnte mindestens ein Fingerabdruck gesichert werden. So was kriegt sogar die belgische Polizei hin. Alle drei waren jung, Mitte zwanzig, zwei von ihnen Belgier, der dritte Kosovo-Albaner. Die beiden Belgier waren vorbestraft, der Albaner fand sich in einer
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