Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht
Autoren: Lukas Erler
Vom Netzwerk:
nicht weg?
    Aus der rechten Zimmerecke kam ein leises, glucksendes Lachen.
    »I’m sure you can, nigger! But this is a private party.«
    Wieder hob sie die Augenlider einen Millimeter an. Das Zimmer war in ein warmes, nachmittägliches Dämmerlicht getaucht. Die Männer hatten die Jalousien heruntergelassen und waren nur als schattenhafte Umrisse zu erkennen. Plötzlich begriff sie, was der Mann gesagt hatte. Was es bedeutete. Sie waren nicht geflohen, weil es noch nicht zu Ende war. Weil der Höhepunkt der Party noch bevorstand, weil … Saving the best for last, dachte sie zusammenhanglos, so wie in dem alten Song von Marc Cohn. This is a private party. Sie fing an zu zittern. Ihre Muskeln verkrampften sich, und ihre Beine begannen wie von selbst um sich zu treten. Die Männer fluchten, und ihre Stimmen schienen nun weiter weg zu sein, klangen wie unter Wasser, dunkel und stark verzerrt.
    Dann ein Geräusch an der Tür. Es war kein Klopfen, sondern es klang, als ob ein Zimmerkellner mit dem Servicewagen gegen die Tür gefahren wäre. Einer der Männer öffnete. Sie spürte den Luftzug auf ihrer Haut und hörte ein elektrisches Summen, das langsam heranglitt und an der linken Seite des Bettes stoppte. Bitte, lieber Gott …? Die Männer schwiegen. In der nachmittäglichen Stille waren ihr eigener keuchender Atem und das Surren der Klimaanlage die einzig wahrnehmbaren Geräusche.
    Onze Vader Die in de Hemelen zijt, Uw Naam worde geheiligd … Sie wollte nicht wissen, was das war, wollte nicht wissen, was da hielt und sie … betrachtete? Die plötzlich durch ihr Gehirn treibenden Bibelworte schienen sie zu verhöhnen und ihr den winzigen Rest Hoffnung zu nehmen, der vielleicht … Uw Koninkrjk kome; Uw wilgeschiede, gelijk in de Hemel alzo ook op de aarde …
    Sie öffnete die Augen und drehte den Kopf leicht nach links. Direkt neben dem Bett stand ein großer, weißer Elektro-Rollstuhl. In Zeitlupe glitt ihr Blick hinauf zu dem Mann, der in dem Stuhl saß. Er sah nicht gefährlich aus, aber das hatte er auch nicht getan, als er noch laufen konnte. Nachdenklich sah er auf sie herab. Sein rechtes Augenlid war leicht abgesenkt, und fast schien er ihr zuzublinzeln. Die rechte Hand war auf merkwürdige Weise nach innen gedreht und ruhte locker auf den Knien. In der linken hielt er ein großes Buschmesser.
    … en vergeef ons onze schulden.
    Nein, dachte sie, das wird er nicht.
     
     
    Grosny, im Juni
    E
    r hätte um diese Zeit gar nicht da sein dürfen. Nicht in dem Haus, und schon gar nicht in der Wohnung. Obwohl es doch seine Wohnung war. Und die von Nadja natürlich. Falls sie zu ihm zurückkehrte.
    Aber seinen Schwager kümmerte das einen Dreck. Schon als Nadja und er noch ein Paar waren, war ihr verdammter Bruder wie selbstverständlich in der Wohnung ein und aus gegangen, hatte auf ihrem Sofa seinen Rausch ausgeschlafen und das Klo vollgekotzt, wenn ihm danach war. Später hatte er dann immer in der Küche gesessen, mit Nadja getuschelt und gelacht und ihn verächtlich gemustert. Jeder seiner Blicke hatte die Botschaft so deutlich übermittelt, als wenn er sie herausgeschrien hätte: Wie konnte seine kleine Schwester diesen erbärmlichen Wicht heiraten? Schließlich hatte sich Nadja dem Urteil ihres Bruders angeschlossen. Dass sie weg war, ging allein auf das Konto von Wassily Jedmajew. Er hat dir Arbeit gegeben, hatte Nadja jedes Mal gefaucht, wenn er sich über Wassily beklagte, wer hätte einen Versager wie dich denn sonst genommen?
    Er dachte an den lausigen Job in der stickigen Lagerhalle von Wassilys Export-Import-Firma, vor dem er sich heute Nachmittag heimlich gedrückt hatte. Niemand würde ihn dort vermissen. Eine Kanne süßer Tee, zwei, drei Gläschen Wodka und eine Stunde Schlaf, mehr wäre nicht nötig gewesen, um den Tag durchzustehen. Stattdessen lag er jetzt in seiner eigenen Wohnung unter dem Bett und lauschte den Stimmen der Männer aus dem Nebenraum.
    Vor allem der Stimme, die er mehr hasste als alle anderen auf der Welt, und die er schon erkannt hatte, bevor die Tür tatsächlich aufgeschlossen wurde. Eisiger Schrecken und Wut zugleich hatten seine Kehle zugeschnürt, als er aus der Küche ins Schlafzimmer gehuscht und unter das muffige Bett gekrochen war.
    Wassily hatte seine Freunde mitgebracht. Nicht genug, dass er Nadjas Wohnungsschlüssel einfach behalten hatte und in der Wohnung nach Belieben ein und aus ging, nein, er musste auch seine Freunde mitbringen. Elende Mistkerle. Konnten sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher