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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht
Autoren: Lukas Erler
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deine Frage auf den Kopf und stopfen sie dir in den Hals zurück. Und dafür willst du Geld ausgeben?«
    So wie früher Helen schaffte Anna das kleine Wunder und holte mich mit ihrem beißenden Spott aus dem Stimmungstief heraus. Es war keines der Wunder, wie der Vatikan sie liebte, doch für meine Ansprüche reichte es. Ich musste so lachen, dass ich mich verschluckte.
    »Woher weißt du das?«, fragte ich hustend.
    »Drei Jahre«, sagte Anna, »habe ich damit zugebracht. Von meinem dreizehnten bis zum sechzehnten Lebensjahr. Unsere Eltern starben, als ich fünfzehn war, und Helen bestand darauf, dass ich noch ein Jahr weitermachte. Gott, was hab ich diesen Typen gehasst!«
    »Und es war für gar nichts gut?«
    »Doch, doch«, sagte Anna nachdenklich, »es hat mich in die Punker-Szene gebracht. Der Mensch muss sich weiterentwickeln!«
    »Trauerst du der Szene nach?«
    Anna schüttelte grinsend den Kopf.
    »Alles im Leben hat seine Zeit«, sagte sie weise, »du weißt schon, jedes Ding hat seine Stunde unter dem Himmel und so weiter …«
    An dieser Stelle war es mit meiner Selbstbeherrschung vorbei. Ihre Weisheiten über die Psychotherapie hatten mir schon gutgetan, aber Anna aus dem Alten Testament zitieren zu hören, gab mir endgültig den Rest. Unser hysteriches Gelächter brachte uns staunende Blicke der japanischen Touristen am Nachbartisch und die besorgte Aufmerksamkeit der Kellnerin ein, die uns vorher konsequent ignoriert hatte.
    »Noch zwei Obstler, bitte«, sagte Anna und wischte sich die Tränen aus den Augen. Als die Kellnerin weg war, nahm sie meine Hand und beruhigte sich langsam wieder.
    »Ich habe auch ein Problem«, sagte sie schließlich, »ich brauche zweitausend Euro.«
    »Wofür?«
    »Für einen neuen Zahn.«
    »Zweitausend Euro für einen Zahn?«
    »Für ein Implantat. Und zwar genau hier!«
    Sie öffnete den Mund und zog mit einem Finger den rechten Mundwinkel zur Seite. Einer ihrer unteren Schneidezähne war sauber etwa in der Mitte abgebrochen.
    »Wie ist das passiert?«
    »Das möchte ich lieber nicht sagen.«
    »Wieso, wenn ich es bezahlen soll …«
    »Ich habe versucht, eine Milchtüte mit den Zähnen aufzureißen, okay? Jetzt weißt du es! Ich hatte früher Freunde, die mit den Zähnen ihre Bierflaschen geöffnet haben!«
    »Ja«, sagte ich fröhlich, »alles im Leben hat seine Zeit. Es gibt eine Zeit zum Flaschenaufbeißen und eine, wo man sich einen Öffner besorgen sollte.«
    Ich versprach ihr das Geld und gab ihr die Adresse meiner Zahnarztpraxis in Bogenhausen. Ein toller Laden. Dr. med. dent. Kleinschmidt war nicht einfach nur Zahnarzt, sondern Facharzt für Oralchirurgie. Ein Künstler. Sehr schick, sündhaft teuer und jeden Cent wert. In mehrfacher Hinsicht.

Zwei
    6. September
    S
    ie haben seit zwei Jahren nichts mehr veröffentlicht«, sagte Colmar. Seine schwarzen Knopfaugen starrten mich über den Rand seiner Brille verächtlich an, während er geistesabwesend in meiner Personalakte blätterte.
    »Ich habe einen Artikel im New England Journal of Medicine für Januar nächsten Jahres«, sagte ich, »und das wissen Sie!«
    Dr. Colmar war der Verwaltungschef des Instituts und das, was Anna einen Kotzbrocken nannte. Er hatte mich am frühen Vormittag überraschend zu sich bestellt, und natürlich wusste ich, dass es um meine Vertragsverlängerung ging. Ich hatte nur nicht gedacht, dass es so unangenehm werden würde.
    »Ja«, sagte er, »ich hab es gesehen: eine Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes der Neuropsychologie hinsichtlich der cerebralen Codierung von Gedächtnisinhalten. Klingt gut, ist aber nichts Neues, nichts Eigenständiges. Sie kennen doch das Sprichwort: ›Getretener Quark wird breit, nicht stark!‹ Also, was ist los mit Ihnen?«
    Ich schwieg. Nicht weil mir nichts einfiel, sondern weil das, was mir im Kopf herumging, unbedingt dort bleiben musste, wenn ich meinen Job behalten wollte. Als ich vor knapp fünf Jahren am Institut angefangen hatte, galt ich als eine Art Shootingstar, ein Hoffnungsträger, der Mann, der die Forschungsgelder an Land zieht. Nun war ich kurz davor, mich ins Heer der arbeitslosen Akademiker einzureihen.
    »Ich verlängere Ihren Vertrag um drei Jahre«, sagte Colmar jetzt, »allerdings nur aus einem einzigen Grund: Max Althaus hat durchblicken lassen, dass er das Institut verlässt, wenn ich es nicht tue. Keine Ahnung, was da zwischen Ihnen läuft, nur, Althaus wollen wir behalten!«
    In dem Moment klingelte mein Handy.
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