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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht
Autoren: Lukas Erler
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Stimme hatte immer noch den verbindlichen Klang eines Diplomaten, doch ich spürte die hinter der Höflichkeit pulsierende Wut. Er zog etwas aus seiner Jackentasche, das ich nicht erkennen konnte, und im nächsten Augenblick hörten wir das trockene Klacken von Handschellen, mit denen Annas Arme auf dem Rücken fixiert wurden.
    Mit der Pistole an ihrem Nacken bugsierte er sie zu dem VW Phaeton, griff durch das Seitenfenster und stellte Licht und Motor ab. Dann zog er den Zündschlüssel und ließ ihn in seine Jackentasche gleiten. Als er Anna wieder in unsere Richtung schob, sah ich das Entsetzen in ihren Augen. Der Anblick von Jette Paulsen hatte ihr nicht gutgetan.
    »Gehen Sie über die Straße in den Dünenweg«, sagte Grygoriew.
    Elena und ich setzten uns in Bewegung, überquerten die zum Parkplatz führende Straße und schlugen uns unterhalb des Leuchtturms, der jetzt links von uns herumgeisterte, in die Dünen. Elena ging voran, Anna, dicht gefolgt von Grygoriew, der ihr seine Pistole in den Rücken drückte, war etwa zwei Meter hinter mir. Niemand sprach. Der Weg war höchstens einen halben Meter breit und mit geschredderten Holzstückchen notdürftig befestigt. Er führte zunächst auf einen Dünenkamm, dann wieder in eine tiefe Senke und wurde links und rechts von Strandhafer, Heidekraut und niedrigen Wildrosenbüschen gesäumt, deren immer noch intensiver Duft sich mit dem Geruch des Meeres verband. Die Luft war ziemlich kühl, dennoch schwitzte ich unaufhörlich, während meine Gedanken wie verrückt um die immer gleiche Frage kreisten. Was wollte Grygoriew? Er hatte herausgefunden, dass Elena ihn belogen und ausgenutzt hatte. Und er war wütend und entschlossen, sich zu rächen. Was genau hatte er vor? Wenn er uns einfach nur erschießen wollte, hätte er das auf dem Parkplatz am Leuchtturm ohne weiteres tun können. Grygoriew war völlig skrupellos. Er würde keinen Augenblick zögern, uns zu töten, wenn er es für richtig und notwendig hielt, vorher jedoch wollte er mit uns sprechen. Aus der Nähe. Ausgiebig und ungestört. Und offenbar wusste er auch genau, wo er das tun würde. Das bedeutete, dass er diesen Ort mindestens einmal aufgesucht haben musste, um sich von dessen Eignung für sein Vorhaben zu überzeugen. Dazu hätte er allerdings wissen müssen, dass wir nach Esbjerg fahren würden. Das alles führte zu nichts. Wichtig war allein, was er in den nächsten dreißig Minuten tun würde.
    Wir gingen jetzt wieder bergauf, der Weg schien den Leuchtturm in einem großen Halbkreis zu umrunden. Rechts von mir tauchte eine gelbschwarze Warntafel auf, die an einen dicken Pfosten genagelt und von einer kleinen Lampe beleuchtet war. Sie zeigte ein Piktogramm, das einen Soldaten mit Gewehr darstellen sollte. Der dazugehörige Text war auch ohne dänische Sprachkenntnisse kaum misszuverstehen:
     
    Skydeplads!
    Adgang forbudt!
    Opsamling af ammunitionsdele
    er forbudt og farligt!
     
    Es war eine der zahlreichen Warntafeln, die Dünenwanderer daran erinnerten, sich vom »Schießplatz« der dänischen Armee im Hinterland fernzuhalten und von herumliegenden Munitionsteilen die Finger zu lassen.
    Es war nur so, dass herum liegende Munitionsteile zurzeit unsere geringste Sorge waren.
    Vor mir trat Elena in ein Erdloch, strauchelte und stieß einen erbitterten russischen Fluch aus, den Grygoriew mit leisem Lachen quittierte. Der Weg wurde jetzt breiter, sandiger und endete schließlich einfach am Strand. Es mochten etwa fünfzehn Minuten vergangen sein, seitdem wir den Parkplatz verlassen hatten – und Jette Paulsen. Was immer Grygoriew ihr angetan hatte, war ihr passiert, weil sie zufällig unseren Weg gekreuzt hatte. Weil sie uns hatte helfen wollen. Verzweiflung und Selbstvorwürfe saßen wie ein heißer Pfropfen in meiner Kehle und machten mir das Atmen schwer. Im letzten Jahr war schon einmal eine Frau gestorben, weil sie mir hatte helfen wollen.
    Direkt vor uns lag nun der breite Sandstrand von Blåvandshuk, der von Mond und Leuchtturm in ein erstaunlich helles Licht getaucht wurde. Es war Ebbe. Weit draußen in der Nordsee konnte man die Windräder auf dem Horns Rev sehen. Rechts von uns befand sich eine Art nachlässig gebauter Zaun, dessen Pfähle bis zur Wasserlinie in großem Abstand voneinander in den Sand gerammt waren und den Strand dahinter als militärisches Sperrgebiet auswiesen. Genau in diese Richtung deutete jetzt Grygoriews Pistole. Wir gehorchten schweigend.
    Nach wenigen Metern tauchte
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