Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht
Autoren: Lukas Erler
Vom Netzwerk:
den mörderischen Rückstoß der Waffe auszugleichen.
    »Nein«, sagte Grygoriew, merkwürdigerweise auf Deutsch, »bitte …!«
    »Elena, hör auf damit!«
    Annas Schrei, irgendwo hinter mir, erschien mir irrsinnig schrill und durchdringend, aber Elena hatte alle Verbindungen gekappt. Ich sah, wie ihre Nasenflügel bebten und weit wurden, als sie die nach Kordit und Angstschweiß stinkende Luft einsog.
    »Alexander Litwinenko«, sagte sie und drückte ab. Grygoriew ließ sich nach links zur Seite fallen, und das war sein Glück, denn obwohl Elena offenbar bis jetzt absichtlich danebengeschossen hatte, war der Abstand zu seinem rechten Ohr dieses Mal denkbar knapp gewesen. Er richtete sich wieder auf und versuchte weiter, auf den Knien rückwärtszurutschen. Seine linke Hand umklammerte immer noch die Stablampe, und in ihrem irrlichternden Schein sahen die Kreidezeichnungen an den Bunkerwänden wie steinzeitliche Höhlenmalereien aus.
    »Magomedjewlojew«, sagte Elena und feuerte eine Kugel direkt zwischen Grygoriews Knie. Das Projektil schlug nicht mehr als zwanzig Zentimeter von seinem Unterleib entfernt in den Sandboden ein. Wäre der Untergrund härter gewesen, hätte ihm ein Querschläger wahrscheinlich die Eingeweide zerfetzt.
    »Stanislaw Markelow und Anastassija Baburowa!«
    Ihr nächster Schuss schlug dieses Mal weit über Grygoriews Kopf in die Wand hinter ihm ein, und eine feine Wolke von grauem Staub löste sich aus dem Beton und senkte sich auf ihn herab.
    Elena setzte sich in Bewegung und machte ein paar Schritte auf ihn zu. Grygoriew wollte weiter rückwärts rutschen, doch er hatte endgültig die Wand erreicht. Die Waffe war jetzt nur noch Zentimeter von seinem Kopf entfernt, sein Gesicht von Todesangst und Verzweiflung zu einer grotesken Fratze verzerrt, die Pupillen starr und riesig. Der feine Staub aus der Wand hatte Gesicht, Schnurrbart und Haare grau gefärbt.
    »Du bist ziemlich blass«, sagte Elena, »wird Zeit, dass du etwas Farbe bekommst!«
    Ihre Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken. Grygoriew hatte diesen Satz zu ihr gesagt, als er in Cuxhaven versucht hatte, sie zu vergewaltigen. Niemand außer mir wusste davon.
    »Wie wäre es mit Rot?«, fragte Elena.
    Grygoriew antwortete auf Russisch. Etwas Flehendes, Wimmerndes. Elena stand jetzt direkt vor ihm.
    »Natalja Estemirowa!«
    Dann senkte sie den Lauf der Waffe und feuerte sie direkt neben Grygoriews linkem Ohr ab. Er schrie, bäumte sich auf – beide Hände an die Ohren gepresst – und sackte zusammen. Elena bückte sich, nahm ihm die Stablampe aus der Hand und richtete sie auf sein Gesicht. Grygoriew war in keiner guten Verfassung. Er zeigte alle Anzeichen eines schweren traumatischen Schocks. Sein Gesicht, mit einer hauchdünnen Staubschicht bedeckt, wirkte völlig abwesend, die Augen waren geweitet und blicklos. An einem Nasenloch hatte sich eine grüngelbe Rotzblase gebildet, die bei jedem Atemzug anschwoll, schrumpfte, wieder anschwoll. Speichel lief ihm aus dem Mund, und im Schritt seiner Hose breitete sich ein großer dunkler Fleck aus.
    Elena legte die Pistole in den Sand, fasste in Grygoriews Jackentasche und holte die Schlüssel für die Handschellen und den VW Phaeton heraus. Dabei hatte sie ganz offensichtlich Mühe, das Gleichgewicht zu halten, und als sie mir die Schlüssel zuwarf, schwankte sie wie eine Betrunkene. Ich wollte sie stützen, aber sie schlug meine Hand beiseite. Ihr Gesicht war schweißüberströmt, und um ihren Mund waren zwei scharfe Falten eingegraben, die ich noch nie gesehen hatte.
    »Lass mich«, sagte sie, wankte in eine Ecke des Bunkers und übergab sich. Als ich Anna die Handschellen abnahm, spürte ich, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie umarmte mich und starrte schockiert zu Elena hinüber, die sich die Seele aus dem Leib kotzte.
    »Wie konnte sie das tun?«
    Ich wusste es nicht.
    »Gewalt ist keine Lösung – wenn man nur darüber redet!«, sagte sie nachdenklich.
    »Wo hast du den Spruch denn her?«
    »Aus einem Glückskeks! Die Chinesen sind ein weises Volk. Hast du verstanden, was das Arschloch über den Rollstuhlfahrer im Van gesagt hat?«
    »Ja, Morisaitte lebt noch!«
    Anna nickte grimmig, und ihr Blick glitt zu der Pistole im Sand. Sie ging ein paar Schritte darauf zu, hob sie auf und gab einen überraschten Laut von sich. Als sie mir die Waffe reichte, verstand ich, was sie meinte. Die Desert Eagle wog etwa zwei Kilo.
    »Was für eine Kanone ist das denn?«
    »Sie wird
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher