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Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Titel: Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
Autoren: Hans Pfeiffer
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der Welt und die Vorherrschaft der germanischen Rasse führe. Zu diesem Kampf müsse er seinen Beitrag leisten, nicht direkt an der Front, sondern sozusagen als biologischer Soldat. Den Vorwurf des Onkels, ein Mörder zu sein, weise er empört zurück. Wenn ich töte, so töte ich unwertes Leben, töte ich die, die ohnehin in den Lagern zum Tode bestimmt sind. Ich ziehe höchstens den Zeitpunkt des Todes etwas vor. Was sind da, lieber Onkel, hundert Tote bei meinen Versuchen, wenn täglich Tausende in den Gaskammern enden?
    Es ist vorstellbar, dass der Onkel seinem Neffen vorgeworfen hat, zynisch seine Verbrechen zu verteidigen. Möglicherweise hat er ihm auch bewusst gemacht, dass er einst, nach dem Untergang des Hitlersystems, für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen würde. Jedenfalls gelang es dem Onkel in diesem Gespräch, bis in die tiefste, von Raschers Selbstgerechtigkeit verschüttete Schicht seiner Persönlichkeit vorzudringen und Rascher zum Eingeständnis seiner Schuld zu bringen. Rascher, so berichtete der Onkel, sei zusammengebrochen und habe geschrieen: »Ich darf nicht denken, ich darf nicht denken!«
    Das Gespräch habe dann die ganze Nacht fortgedauert, bis Rascher zugab, er habe einen falschen Weg beschritten, sehe aber keine Möglichkeit zur Umkehr.
    Doch bald hatte Rascher diese Episode wieder vergessen und verdrängt. Seine wissenschaftliche Karriere war ihm wichtiger als alle ethischen Bedenken. Er schrieb eine Habilitationsschrift, in der er die Ergebnisse seiner Menschenversuche verarbeitete. Da diese Ergebnisse jedoch höchster Geheimhaltung unterlagen, konnte er die Arbeit keiner Universität vorlegen, und keine Universität war bereit, ihn ohne Kenntnis seiner Schrift zu habilitieren.
    Aber die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes Erster Klasse mit Schwertern und die so lange betriebene Übernahme in die SS im Rang eines Hauptsturmführers trösteten ihn. Er stand noch immer hoch in Himmlers Gunst. Und Anfang 1944 konnte er seinem Gönner berichten, dass seine Frau Nini ihr viertes Kind erwarte.
    Von diesem Tage an beendete die Rakete seiner Karriere ihren Höhenflug und stürzte steil in die Tiefe.
    Und dem war folgendes vorausgegangen: Im März 1944 suchte die Münchener Kriminalpolizei nach einem entführten Säugling. Sie konnte bald die Entführerin ausfindig machen. Es war Nini Rascher, Gattin des SS-Hauptsturmführers Dr. Rascher und Freundin des Reichsführers der SS. Das war ein Fall, den die SS unter sich regeln musste. Deshalb nahm der SS-Obergruppenführer und Polizeichef von München sofort selbst die Untersuchung in die Hand.
    Die Ermittlung ergab, dass auch die andern 3 Kinder nicht die eigenen Sprösslinge von Rascher und seiner Frau waren. Nini hatte sie über Mittelsleute von andern Müttern gekauft. Sie selbst konnte keine Kinder haben, wollte aber Himmler mit einer Kinderschar als vorbildliche deutsche Mutter imponieren. Deshalb täuschte sie die Schwangerschaften vor.
    Nicht einmal Himmler glaubte der Behauptung Ninis, ihr Mann habe von alledem nichts gewusst. Sein Zorn, von seinen Günstlingen so hintergangen worden zu sein, war maßlos. Er verfügte, dass Hauptsturmführer Dr. Rascher aus der SS ausgestoßen und ins KZ Buchenwald eingeliefert wurde. Nini wurde ins KZ Ravensbrück verbracht, wo sie nach einem missglückten Fluchtversuch gehängt wurde.
    Die Ironie des Schicksals wollte es, dass der Serienmörder Dr. Rascher dort sein blutiges Ende fand, wo er selbst zahllose Menschen getötet hatte. Er wurde gegen Ende des Krieges aus Buchenwald in das KZ Dachau verlegt und dort am 24. April durch Genickschuss hingerichtet.
    Mit dieser von den eigenen SS-Kameraden vollzogenen Hinrichtung kam Dr. Rascher der Todesstrafe zuvor, die der Nürnberger Ärzteprozess 1947 sicher über ihn verhängt hätte. In diesem und in andern Prozessen wurden Hunderte von Ärzten angeklagt, das ärztliche Ethos verraten und vorsätzlich Menschen umgebracht zu haben, gleich, ob sie das als Befehlsgeber oder als Vollstrecker getan hatten.
    All diesen Ärzten gab die nationalsozialistische Diktatur das Betätigungsfeld für den ideologisch begründeten und staatspolitisch befohlenen oder geduldeten Massenmord. Wie ein solcher Verfall des ärztlichen Ethos möglich war, warum Ärzte ohne schlechtes Gewissen eigenhändig mordeten und sich dabei noch als Vollstrecker eines gesellschaftlichen Auftrags sahen - das zu erörtern überschritte die Aufgabe
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