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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Autoren: Klaus Bittermann
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geschrieben hat.
    Und zweitens, weil am Nachbartisch immer irgendjemand sitzt und laut quatscht. Er: »Wen sollen wir zu unserer Hochzeit einladen?« Sie: »Schatz, du kannst einladen, wen du willst. Aber wenn deine bescheuerten Exen mit ihren fetten Ärschen und ihren Omafrisuren kommen, dann kannst du ohne mich feiern.«
    Da kann man sich gar nicht richtig auf die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung konzentrieren. Und deshalb stelle ich mir vor, dass der gerade so Angegiftete, der ein bisschen so aussieht wie ein ganz normaler DDR-Spießer, das heißt so wie Karl-Theodor zu Guttenberg, einen Pennälerfassonschnitt trägt, ein rosafarbenes Hemd und eine dunkelbraune bayrische Trachtenjoppe, dass der Peter Richter ist. Er hat die Hände gefaltet und sieht seine Freundin verzweifelt an. Klar, da hat man ‘ne Menge zu kompensieren.

Die Gerichtsvollzieherin
    Der Gerichtsvollzieher, der eine Frau ist, kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Ich bin gerade am Packen, um das Weite zu suchen, aber weil jemand (wahrscheinlich die Gerichtsvollzieherin) die Luft aus den Reifen meines Autos gelassen hat, komme ich nicht rechtzeitig weg.
    Aber ich will gar nicht flüchten, sondern ich will mich empören, und deshalb habe ich meinen jährlichen Beitrag an die Industrie- und Handelskammer nicht bezahlt. Bevor ich aber zu einem flammenden J’accuse ansetze, bitte ich die in eine gesteppte Wurstpelle eingewickelte Gerichtsvollzieherin höflich in die Wohnung und sage: »Schade, ich dachte, Sie würden erst morgen kommen. Dann wäre ich nämlich nicht da gewesen.«
    Sie zuckt nicht mal mit der Wimper. Ich glaube, sie ist Schlimmeres gewöhnt. »Samstag arbeiten wir nicht«, sagt sie. Klar, Finanzbeamtin. »Ich kenne diesen komischen Verein überhaupt nicht, und beigetreten bin ich dem schon gar nicht. Ich weiß nicht, was diese IHK macht und tut, außer rechtschaffene Leute wie mich mit Phantasierechnungen zu belästigen. Warum also soll ich 500 Tacken zahlen?«, lege ich mich rhetorisch ins Geschirr. Jeder Handwerksbetrieb ist Mitglied der IHK, antwortet die Frau. »Betreibe ich mit meinem Verlag etwa ein Handwerk? Und wird man bei der IHK Zwangsmitglied, so wie unter den Nazis?« Damit müsste ich sie in die Enge getrieben haben, denke ich, aber die Frau sieht mich mitleidig über den Rand ihrer randlosen Brille an und sagt: »Dafür bin ich nicht zuständig. Ich bin nur beauftragt, die Außenstände einzutreiben.«
    Typisch, denke ich, nicht mal ein richtig schöner Nazivergleich lockt solche Leute aus der Reserve.
    »Was ist? Zahlen Sie jetzt?«, fragt sie unbeeindruckt.
    Ich zahle. Aber unter Protest. Ich gebe zu Protokoll, dass ich die IHK für einen üblen Abzockerverein halte. Jawoll! Die Gerichtsvollzieherin zuckt mit den Schultern und zählt die schönen Scheine, für die ein armer Autor wie ich lange schreiben muss.

Lesen mit Franz Dobler
    In der U-Bahn Schönleinstraße ziehe ich eine Fahrkarte. Kurzstrecke. Für zwei Stationen. Mein Gott, denke ich, musste das jetzt sein? Immerhin habe ich eine Entschuldigung: Herr Dobler hat mich zu einer Lesung nach Neukölln eingeladen, und wenn ich da zu spät komme, sagt er, geht alles schief. Und außerdem: Als ich das letzte Mal vor zehn Jahren mit der U-Bahn fuhr, verpasste ich meine Haltestelle, und als ich die nächste ausstieg, um wieder zurückzufahren, da fiel ich den Häschern als verdächtiges Schwarzfahrersubjekt auf, das ich ja auch war. Man ist ja lernfähig, und deshalb bin ich noch damit beschäftigt, meine ganzen kleinen Münzen in den Schlitz zu stopfen, als ich jemanden rufen höre: »Nein, nicht, stop, halt, hallo Sie, bitte keine Münzen mehr einwerfen.« Aber da nadeldruckt der Apparat mit fiesem Sirren schon die Fahrkarte aus. Der Mann blickt mich vorwurfsvoll an: »Der Apparat braucht nichts zu essen! Aber ich! Schomma daran gedacht? Mannmannmann.«
    Ich verdrücke mich schuldbewusst. Boddinstraße steige ich aus. Einer der fliegenden Fahrkartenverkäufer klärt ein Mädchen, deren Ticket er zum Weiterverticken geschnorrt hat, darüber auf, dass ihre Fahrkarte von einem rumänischen Fälscherring gefälscht worden sei und dass sie damit aber sowas auf die Schnauze hätte fallen können. Das Mädchen sagt eingeschüchtert »Oh! Danke für den Hinweis.«
    Im »Froschkönig« in der Weisestraße soll ich fünf Euro zahlen. Das kann ich gerade noch abbiegen, aber dann denke ich, dass ich zwar nicht der Erste gewesen wäre, dem man zu seiner eigenen Lesung
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