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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Autoren: Klaus Bittermann
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Fünfzigerjahreeisdielenaluminiumstühlen.
    Keine Ahnung, warum es mich hierher verschlagen hat. Okay, das Versprechen auf einen »Martini zu jeder Gelegenheit«, klar. Aber eigentlich war ich auf der Suche nach einem ruhigen, warmen und romantischen Café mit einem Pinguin als Ober, und das ist ja wohl das genaue Gegenteil von dem, was ich hier vorfinde. Bin ich ein Spielball mir unbekannter Gelüste, die geputscht und die Kommandozentrale meines Hirns übernommen haben? Aber vielleicht gibt es dieses Café, das ich suche, gar nicht, jedenfalls nicht in Kreuzberg, weil es in meiner Vorstellung immer so aussieht wie das Kaffeehaus Prückl in Wien.
    Blaue Stunde. Ich bestelle einen Martini. Die Bedienung im gemusterten Kapuzenshirt guckt unsicher. Sie fragt mich, ob mir der Martini schmeckt. Ich komme mir vor wie ein Versuchskaninchen. Dann lese ich in Robert Menasses neuem Erzählband, weil ich nicht die ganze Zeit auf die großen Comic-Gemälde an der Wand starren will, die nach einem schlechten Seyfried aussehen, also so wie das letzte Wahlplakat von Ströbele.
    Die Geschichte handelt vom Erfinder des Parfüms Egoïste. Ich trinke noch einen Martini. Die Stones klagen, dass sie keine Befriedigung kriegen können, und die Beatles raten, es gleich zu lassen. Bratenfettduft wabert weiter durch die Kälte.

Stilleben
    »Faster Pussycat« ziert groß die Fensterfront eines Ladens mit Klamotten für Girlies auf dem Mehringdamm. Mit dem Rücken zum Schaufenster steht ein Penner. Sein Gesicht ist mit einem Zwei-Jahres-Bart und ebenso lang nicht geschnittenen Haupthaaren zugewuchert. Er verschränkt die Arme und tritt von einem Fuß auf den anderen. Er bettelt nicht, er friert nur.
    Ich gehe in die Commerzbank an der Ecke Gneisenaustraße. Hinter der Schalterdame sitzt ein Praktikant und starrt gelangweilt aus dem Fenster. Der Computer ist aus dem letzten Jahrhundert und funktioniert nur nach gutem Zureden, und ich denke, dass diese Filiale ziemlich runtergekommen ist, seitdem sich die Commerzbank ihre Kunden vom Leib hält. Vielleicht geht es der Commerzbank ja auch schlecht. Vielleicht sollte man für sie spenden?
    Der Penner steht immer noch vor Pussycat. Ich füge mich unauffällig ins Straßenbild ein und stehe auch ein wenig herum. Ein mit einem Baldachin überdachter Handwagen voller Bücher steht ebenfalls da, aber schon länger als ich. Er erinnert mich an den Gemüsekarren, mit dem der Dadaist, Dichter und Boxer Arthur Cravan durch Paris gezogen ist, um seine kleine Literaturzeitung Maintenant zu verkaufen. Eine Kasse befindet sich auch auf dem Wagen. Tatsächlich stöbert jemand mit Umhängetasche durch die abgegriffenen Taschenbücher. Ein Schlenderer versucht die Kasse mitzunehmen, aber sie ist festgeschraubt. Einen Euro kostet das Buch. Ein Schnäppchen. Der Mann mit der Umhängetasche hat eine Schwarte gefunden, steckt sie ein und schwingt sich aufs Fahrrad. Er hat einen Euro gespart.
    Vor »Leckerback« steht ein Pärchen und trinkt einen Kaffee zum Abwinken. Dann verabschieden sie sich. »Hau ab, du Zwerg«, sagt sie. Der Zwerg haut tatsächlich ab. Der Penner steht immer noch vor Pussycat.

Meinungsumfragen
    Mit hochgestelltem Mantelkragen und hochgezogenen Schultern sitze ich wie ein Geheimagent vor dem »Bateau Ivre« am Heinrichplatz und stelle Latte macchiato schlürfend befriedigt fest, dass ein Dr. Friedrich aus Ottendorf-Okrilla in einem Leserbrief an den Spiegel die dort breitgetretenen Gerüchte über eine angebliche Affäre Lafontaines mit Frau Wagenknecht, bei der ich immer an ihre gestärkte weiße Bluse denken muss, die sie trug, als ich ihr einmal im Zugabteil gegenübersaß, als »geistige Abfallgrube« bezeichnet. Mit einer Frau, die gestärkte weiße Blusen trägt, zu affären, denke ich, da macht sich jeder lächerlich, der das behauptet, wobei ich das eigentlich gar nicht denken, sondern einfach nur Dr. Friedrich aus Ottendorf-Okrilla recht geben wollte.
    Aber dazu komme ich gar nicht, weil mich eine Dame aus meinem Gedankenknäuel reißt, die einen Fragebogen über das Kottbusser Tor ausgefüllt haben will. Ich wäre ein »Schatz«, wenn ich mir die fünf Minuten Zeit nähme. Da hat man dann natürlich keine Chance mehr. Wie ich das Kottbusser Tor nutzen würde, will der Fragebogen wissen. Zum Durchqueren in einer sehr kurzen Zeiteinheit, schreibe ich hin. Und was ich gut finden würde. Gottseidank fällt mir der Gemüsestand ein, obwohl ich nicht die geringste Veranlassung habe, den
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