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Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)

Titel: Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol: Kreuzberger Szenen (German Edition)
Autoren: Klaus Bittermann
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Hosenbeinen durchs Wartezimmer der Notaufnahme des Urban-Krankenhauses schlurft und mir als einzig Anwesendem mit finsterem Gesicht und wie eine aufgebrachte Furie zuzischt, wer alles ein »verfickter Arsch« sei, dabei kenne ich gar keinen von den verfickten Ärschen.
    Und das liegt nicht an den 40 Grad Fieber, mit denen ich mich in die Notaufnahme geschleppt habe, wo ich im Gang abgestellt werde. »Keine Papiere?«, fragt ein Pfleger. Er meint nicht mich, sondern eine Samariterin, die einen Delirium Tremens angeliefert hat. »Kannste gleich wieder mitnehmen. Wir haben hier schon einen polnischen Alkoholkranken.« Dann gerate ich in sein Blickfeld. Er guckt kurz in mein schmales Krankendossier. Theatralisch ruft er aus: »Warum bringt ihr mir nicht mal so einen vorbildlichen Kranken?«
    Ich bin viel zu sehr mit Schwitzen und Zähneklappern beschäftigt, als mich geschmeichelt zu fühlen. Immerhin werde ich in ein Behandlungszimmer abgeschoben, dort allerdings vergessen. »Wie heißen Sie? Ihr Name? Machen Sie die Augen auf? Hören Sie mich?«, höre ich eine Schwester laut auf den polnischen Alkoholkranken einteufeln. Keine Reaktion. Sie gibt auf. Ich sehe die Füße des polnischen Alkoholkranken. Sie zucken.
    Schön wie das Zittern der Füße eines Alkoholikers, rauscht mir ein leicht abgewandeltes Zitat vom Comte de Lautréamont durch den Kopf. Dann lasse ich die Rollos runter.

Jugendbanden
    In der Umkleidekabine des Spreewaldbades treffe ich auf fünfzehn Halbstarke mit arabischem Migrationshintergrund und mit Oberwasser. Auf einem Haufen sind Pubertierende nie ein schöner Anblick, in diesem Fall ist die Sache besonders haarig, denn nach dem Prinzip »Gemeinsam sind wir unausstehlich« brüllen sie, was ihre Kehlen hergeben, was nicht wenig ist, und schlagen mit den flachen Händen rhythmisch auf die dünnen Pressspanzwischenwände der Umkleidekabinen. Kein Bademeister lässt sich blicken. Ich allein gegen eine halbnackte, randalierende Meute, die skandiert: »Tod den Juden! Tod den Juden!«
    Schöne Scheiße. Ich tue so, als ob ich gar nicht da wäre, nichts höre und sehe schon gar nicht, was mir sogar gelingt, denn ich werde nicht belästigt, aber ich wünschte, mein alter Kumpel Eddy wäre hier. Ein Brocken von einem Mann. Nicht ganz so groß wie das Empire State Building, hätte er alle in eine Flasche gestopft und sie der Strömung eines reißenden Gebirgsflusses überlassen. Jedenfalls, wenn ich ihm gut zugeredet hätte.
    Er hat mir mal einen vergilbten Zeitungsausschnitt gezeigt: »Jugendbande überfällt Polizeirevier. Fünf Beamte schwer verletzt im Krankenhaus.« Mit seiner riesigen Pranke deutete er darauf und meinte: »Ich habs gemacht. Solo!« Ich guckte ihn an wie ein Schwachsinniger. »Na, ist das nichts?« »Doch«, sagte ich.
    Er wanderte dann nach Kanada aus, um Gras über die Sache wachsen zu lassen, wurde Holzfäller, und als er genügend Geld zusammenhatte, kam er zurück und lebt seither von seinen Ersparnissen.
    Den Rest ihres Lebens hätten die Jungs lieber mit einem tollwütigen Hund in einem Wandschrank zugebracht, als noch einmal Eddy zu begegnen und an der Bodenleiste entlangzukriechen wie Fliegen, denen man die Flügel ausgerupft hat. Manchmal hilft eben nur Wunschdenken, um über die eine oder andere Demütigung hinwegzukommen, in die einen Leute wie in einen Scheißhaufen tunken, den sie im Kopf haben, wo sich sonst nichts anderes befindet.

Wirtschaftswunder
    »Martini zu jeder Gelegenheit«, lockt ein Schild im »Wirtschaftswunder«. Da kann ich nun wirklich nicht widerstehen und trete ein. Das »Wirtschaftswunder« befindet sich in der Yorckstraße neben dem Yorck-Kino. Jeder kennt es, nur ich habe mich noch nie hierher verirrt, obwohl ich nicht sooo weit weg wohne. Dreiundzwanzig Jahre gibt es das »Wirtschaftswunder« schon, das ist selbst für ein Wirtschaftswunder eine lange Zeit. Bratenfettdunst hängt schwer wie aufdringliches Egoïste in der Luft.
    »Nirgends sonst auf der Welt könnten Restaurants, die so nach Fritten stinken, auch nur vierzehn Tage überleben«, merkte Harry Rowohlt mal über den Geruchssinn der Deutschen an, wobei das »Wirtschaftswunder« natürlich kein Restaurant ist, weshalb es eigentlich umso verwunderlicher ist, dass es nach altem Fett riecht. Aber vielleicht steht deshalb die Tür offen. Aus den Boxen hämmert harter Postpunk. Ein Refrain wird gerade gnadenlos zu Tode geritten. Es ist kalt und ungemütlich auf den
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