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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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Erscheinungsformen.
    Also, wie gesagt, nach einer Woche, schon in Uniform und Stiefeln, fand ich Zeit und schrieb drei Briefe: einen an Danielė ins Krankenhaus, an Hrasilda in die Universität, schließlich an die Mathematikerin Matulionytė, gerichtet an Lucijas alte Adresse, ins Ofizin . Eine Antwort bekam ich nicht. Ich war wütend, aber was sollte ich tun. Woher konnte ich auch wissen, dass Danielė längst entlassen worden war und jenen Boxer und Bibliothekar geheiratet hatte. Dass Hrasildas Asthma wieder akut geworden war, sie nun aber in einem blitzenden Sonderkrankenhaus lag. Und Matulionytė, die Mathematikerin? Die hätte wenigstens aus Pflichtgefühl antworten können, mir von Lucija berichten und mir jene im Ofizin versteckten mehreren hundert Rubel zusenden können, eine Riesensumme für einen einfachen Soldaten! Erst Jahre später erfuhr ich, dass die Lehrerin in einen kleinen Verkehrsunfall geraten war, sich die Hand gebrochen hatte und das Becken. So war nur der Unfall selbst geringfügig, für sie war es jedoch eine Tragödie bis ans Ende ihrer Tage. Sie blieb dann auch in der kleinen Stadt am Seeufer und unterrichtete, wenn auch hinkend, Mathematik. Unsere Briefe werden dennoch kontrolliert, erklärte mir ein Sektenanhänger aus der Westukraine, das war schon später, als wir – selbst die Esten! – einen lügenhaften Schwur ablegen mussten, in dem sich markige Worte fanden, die darlegten, was passiert, falls jemand diesen Schwur bricht: pust’ postignet menja surovaja kara i vseobščaja nenavist’  … [57] Die Esten verstanden den Text nicht, zumindest nicht alle, sie buchstabierten ihn vom Blatt herunter. Nicht weiter wichtig. Hier endete der Nullzyklus beim Aufbau des Kommunismus, auch mit dem Studieren war es zu Ende. Hinter der Kaserne drängten die Wassermassen des Dnjepr, der hier noch nicht sehr breit war, zum Schwarzen Meer hin, dehnte sich Mogiliov aus, eine öde Gebietshauptstadt, die einstmals unseren Fürsten gehörte. Zur Zeit des Bürgerkrieges hatte sich hier eine provisorische weißgardistische Regierung einige Monate halten können. Als sie unsere Kompanie an einem Sonnabend ins Museum trieben, wurde es einem geradezu warm ums Herz: Die Ausstellung enthielt ein kleines Porträt von Vytautas, dazu eine Landkarte des Großfürstentums. Im beigefügten Text wurden die Litauer als Eroberer und Versklaver gebrandmarkt. Ich zeigte das alles dem Sergeanten Mišustin, einem Sohn der Stadt Tūla, übrigens auch aus dem Polytechnikum geflogen aufgrund einer Schlägerei. Der grinste nur, sagte aber nichts. Dafür vergaß er am Abend nicht, mich anderntags für den Küchendienst einzuteilen, den widerlichsten Posten, den es gab.
    Als es auf den Frühling zuging, fühlten wir uns schon als gewitzte und altgediente Soldaten. Gerade hatten wir die Wege und den Exerzierplatz vom Schnee freigeschaufelt, als ein Bus die Toreinfahrt passierte, und nun war ich wirklich baff: Ein Ikarus! Eine mobile Röntgenstation ! Du lieber Gott! Genau wie der von Antanas Bladžius! Selbst der Anstrich war der gleiche. Auf dem Territorium der Schule ruhten alle Arbeiten, endete alle Faulenzerei. Diesmal war da kein Zittern, als ich vor dem Röntgenschirm stand, Erwartungen waren da keine. Die Tuberkulose und die mit ihr verbundenen Hoffnungen, es war und blieb eine alberne Jugendillusion. Tbc-Herde wurden diesmal in den Lungen eines gewissen Orlov entdeckt, eines intelligenten Moskauers. Und bei dem Esten Rebanė. Beide wurden schon am nächsten Tag irgendwohin befördert. Orlov freute sich wie ein Kind, Rebanė kein bisschen. Vielleicht jubelte er auch innerlich, aber es war ihm nichts anzumerken. Rebanė war so ein rothaariger Dicker. Der Mann wäre ohnehin vorzeitig entlassen worden: Er war verheiratet, und vor einer Woche war das zweite Kind gekommen. So gab es wohl wenig Grund, sich ausgerechnet über einen Tbc-Herd zu freuen . Rebanė heißt übrigens Fuchs auf Estnisch. Solche Nachnamen trifft man allenthalben, sowohl einem Lapė [58] als auch einem Lisycin [59] , sogar einem mit dem deutschen Namen Fuchs bin ich begegnet. Aber das ist hier nebensächlich, meine Lunge war jedenfalls in Ordnung. Der Röntgenbus rollte gemächlich durch das Eisentor mit dem roten Stern in der Mitte. Und ich durfte weiter dienen.
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