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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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schien, all das habe sich irgendwann in grauer Vorzeit abgespielt. Erst jetzt kam mir das Gedächtnis zu Hilfe: Lucija und ich ruderten zurück von einem nächtlichen Ausflug, und sie, gerade von der See zurückgekehrt, stand braun gebrannt am Ufer neben ihrem Haus und lächelte hämisch: Da bin ich wieder, ihr Sünder, eure Zeit ist beendet! Meine Laune verdüsterte sich, ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen, seufzte. Es galt, sich mit dem Unvermeidlichen abzufinden.
    Aber du hast sie hoffentlich vergattert. Dass sie auch die Klappe hält. Zu keinem ein Wort!
    Wäre es sonst möglich? Lucija war ärgerlich. – Du kennst sie überhaupt nicht. Ein Leben lang grämt sie sich, in die Partei eingetreten zu sein. Und raus kann sie nicht, du weißt es selbst.
    Aber Monika Matulionytė ließ sich im Ofizin nicht blicken. Niemals bereitete sie mir ein bescheidenes Frühstück. Nie hatte sie Gelegenheit, mir ihre altjüngferlichen Begierden zu beichten. Als ich noch auf ihre Ankunft wartete, war eins sicher: Irgendwelche erotischen Entgleisungen drohten uns wirklich nicht. Keine zehn Pferde hätten mich ins Bett der Mathematikerin gebracht. Aber dann kam sie nicht, warum, werde ich bald erzählen. Es sind nicht mehr viele, denen ich etwas erzählen kann. Elli wurde Frau Senator , Danielė wählte den Boxer, und Lucija fliegt schon morgen nach Moskau und von dort in den Dschungel, zu einem tollen Bus mit Klimaanlage und funkelnagelneuer Innenausstattung. Brūklys würde ich auch nichts erzählen. Schon gar nicht dem Poeten, der sein erstes Buch vorbereitete. Offen gesagt, es gab hier auch nicht mehr viel zu berichten, das wäre allenfalls der Epilog der ganzen Krankheits- und Liebesgeschichte . Ziemlich trist, recht typisch und lehrreich vielleicht nur dann, wenn jene Zeitläufte sich bis heute fortgesetzt hätten. Doch jeder sollte sich eingestehen, dass damals selbst die größten Sowjethasser das Ende des Imperiums nicht mal hinter dem Himalaja aufdämmern sahen, niemand wagte an so etwas auch nur zu denken. Im Jahr 1970 war der Drache geradezu im Zenit seiner Kraft und Macht. Alle brachten ihm Opfer, nicht wenige taten es freudig und leisteten ihm Schwüre. Aber jetzt scheint dieser Epilog ohne didaktischen Wert, er ist nur noch trist. Eine im Grunde abgetane, für niemanden mehr nötige Reminiszenz. Aber ich spüre noch etwas anderes, auch wenn es ein Gefühl bleibt. Da bewegt sich irgendein Rad, nicht unbedingt das der Zeit oder der Geschichte, und jene längst beerdigten Dinge werden unerwartet wieder wichtig, für einen selbst und merkwürdigerweise auch für andere, die sich an die damalige Atmosphäre noch erinnern. Und noch seltsamer: Diese Ära gewinnt ein Interesse an und für sich, übt zudem, was bedenklich ist, eine Art Faszination aus. Vor allem für diejenigen, die nicht in ihr gelebt, geatmet, getrunken, Blut und Zähne gespuckt haben, die nicht von Bahnhöfen vertrieben, von Universitäten entfernt wurden oder ihren Arbeitsplatz verloren. Verfolgt wegen eines schiefen Blicks, wegen langer Haare oder Nietenhosen mit breitem Gürtel. Ich weiß, es sind nicht viele, aber allmählich werden es mehr, und obwohl dieses Interesse nie zu einer Massenerscheinung werden wird – ob es überhaupt zu einer Erscheinung wird, bleibt unklar –, kann diese Geschichte, wie subjektiv, überzogen, dramatisiert auch immer, dem Erforscher dieser Zeit dennoch eine Hilfe sein. Natürlich nur dann, wenn er mit Hingabe forscht, genügend Quellen nutzt und sich um Objektivität bemüht. Das kann nur hoffen, wer sich, wie ich, auf das einlässt, was war. So bald wird das nicht passieren, daran ist nicht zu glauben. Muss es auch nicht, es wäre ungerecht, es muss mehr Zeit vergehen. Etwa so viel, wie wir jetzt von der Union von Lublin [50] entfernt sind, oder vom Aufstand 1863 [51] . Aber auch hier spielen wieder die eigenen Vermutungen hinein, vielleicht auch leere Hoffnungen und unangemessene Ansprüche. Es kommt eine andere Generation , und die wird vermutlich von anderen Dingen bewegt, unsere spezifischen Gebräuche ungeschriebener Konventionen, Phobien, Ehren- und Halunkenkodexe interessieren nicht mehr. Den Nachfahren wird manches einfach lächerlich und dumm erscheinen. Irrational und ziemlich primitiv. Ähnlich erscheint uns heute die litauische Intelligenz zu Beginn des Jahrhunderts, die wir nur aus Büchern kennen: engbrüstig, mit blitzenden Ärmelschonern, Geige spielend, Gedichte schreibend, oft kränkelnd und
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