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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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unterste gewählt hatte, und schlief ein.
    Drei Tage verbrachte ich auf dieser Liege. Ein Glück, im Jackenfutter fand ich ein Bündel Geldscheine, es reichte, um im Bočiai essen zu gehen – ja, dort, wo es schon morgens Bier gab! Jetzt wurden hier die Neuzugänge verköstigt. Natürlich nur die, die Geld hatten. An einem der Abende brachten sie noch eine Partie Neuer, es wurde eng. Aber zur gleichen Zeit tauchten auch die Einkäufer auf. Alle mussten mit Sack und Pack raustreten auf einen kleinen asphaltierten Platz und sich auf den Boden setzen. Wer konnte, hockte sich auf seinen Koffer oder seinen Rucksack. Es begann zu schneien. Irgendein Dickwanst rief über ein Megaphon unsere Namen auf. Der Aufgerufene erhob sich, brüllte ein Hier! Dann begab er sich mit seinem Gepäck auf die andere Seite. Er ging, deutlich erleichtert, endlich hatte die Warterei auf der nackten hölzernen Pritsche ein Ende. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, da erklang auch mein Name. Weil ich mit meinen Gedanken woanders war, hörte ich ihn nicht sofort. Mein Nebenmann musste mich anrempeln: He, wohl taub! Du bist gemeint! Es war Aloyzas, ein Ökonom mit schiefem Mund. Und geexter Student wie ich. Ich erhob mich und eilte auf die andere Seite, damit sie es sich nur nicht nochmal überlegten. Wie schnell hatte ich mich mit dem Schicksal abgefunden, dachte ich, schon in der neuen Schar, zu der auch Aloyzas gerufen wurde. Später wurde er bekannt als Restaurator der Bernhardinerkirche, damals war er nur ein kahl geschorener, bleichgesichtiger Junge mit breiter Nase und dicken, sinnlichen Lippen.
    Als es zu dämmern begann, ließen sie uns, etwa anderthalbtausend Novobrancy [53] , zur Kolonne formieren, miserabel gekleidet und mit klapprigem Schuhwerk, dann ging es durch die Tatarenstraße, die Antokolski, die Pferdegasse in Richtung Bahnhof. Nein, Wolfshunde bellten nicht. Auch die Sergeanten, die die Kolonne flankierten, waren unbewaffnet. Als wir kurz in die Gorkijstraße einbogen, vorbei an den Kolonnaden des Kunstmuseums, sah ich mich angestrengt nach allen Seiten um. Vielleicht sehe ich jemanden, treffe jemanden. Doch niemand aus meinem Bekanntenkreis ließ sich blicken. Wir kommen in eine gute Einheit, munkelte einer. Woher er das wisse, fragte ein anderer. Wir sind nicht viele, kommen sicher nicht zur Feldtruppe. Aber wohin ging es? Einige versuchten, das Begleitpersonal auszufragen. Die kamen doch aus jenen Garnisonen, in die sie uns jetzt brachten. Die wussten es, die Mistkerle, sagten es aber nicht. Neznaem, neznaem, molčat’ , [54] hieß es nur.
    Wieder atmete ich erleichtert auf, als ich die Aufschrift des Zuges vor Augen hatte, den wir bestiegen: Tallinn – Minsk. Während sich die Sergeanten wie Generäle aufführten, war unser oberster Einkäufer, Hauptmann Platonov, ein durchaus angenehmer Mensch. Der Zug setzte sich in Bewegung, und gleich ließ er uns wissen, dass es zunächst nach Minsk gehe, wir dort auf dem Bahnhof übernachten würden, am Morgen gehe es weiter zu unserem Standort. Auch der sei nicht weit, in Mogiliov. Na, endlich war es raus. Auf den blauen Schulterstücken blinkten kleine goldfarbene Flugzeuge – Luftwaffe. Ich blickte genauer hin, keine Fallschirmjäger. ŠMAS! – brummte Sergeant Mišustin, ein hoch gewachsener Schwarzhaariger. Es fanden sich kluge Burschen, die die uns unbekannte Abkürzung entzifferten: Škola Mladšych Aviacionnych Specialistov, eine Ausbildungseinrichtung für Spezialeinheiten der Luftwaffe. Das war es also.
    Nach einer Woche, schon in Uniform und Stiefeln, erfuhr ich, dass ich zum meteorologischen Dienst abkommandiert war in einem abgelegenen Fliegerhorst. Eine leichte, intelligente Tätigkeit, freuten sich die Unsrigen. Selbst Esten und Letten, die sich hier zahlreich fanden, lächelten – chorošo, chorošo [55] . Ein halbes Jahr werden sie uns triezen, dafür werden wir dann die Chefs sein! Ich weiß nicht, ob ich noch einmal über die Armee schreibe. Schikanen habe ich nicht erfahren, der Dienst war nicht schwer. Ich traf dort anständige, sensible, sogar poetische Menschen. Würde ich das zu Papier bringen, es ähnelte nicht im Entferntesten den dokumentarischen oder auch belletrisierten Berichten über die berüchtigte Dedovščina [56] o der über Afghanistan. Manchmal fühlte ich mich fast als Zivilist. Nur anfangs war es auch bedrückend, auch schwer. Ich rede hier über das physische Empfinden. Moralisch war mir die ganze Soldaterei widerlich, in all ihren
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