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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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schon einen anderen Weg, den über Kairėnai und Šaltinis, das durch eine Heilquelle berühmt war, zu der die Leute pilgerten wie zu irgendeinem Lourdes . Ihr Wasser versiegt nicht, säuert nicht, erklärte der Regisseur. Es stillt nicht nur den Durst, sondern läutert auch den Geist. Pkws standen dort, der eine oder andere kleine Kiosk, der Handel wittert heute schnell ein Geschäft. Wir stiegen aus dem Wagen, reihten uns in die Schlange ein und tranken wirklich vorzügliches Wasser. Sogar Tafeln mit diversen Anzeigen waren zu sehen, die Leute versuchten Wohnungen zu tauschen, zu kaufen oder zu verkaufen, rieten zu einer Massage oder wollten heiraten. Vor einem entfernteren Häuschen vertrat sich ebenfalls eine Menschenschlange die Füße. Ich bog deshalb in einen Fichtenwald ein, aber auch hier war alles voller Autos. So musste ich noch ein ganzes Stück weiter ins Unterholz, bis ich das Wunderwasser wieder ablassen konnte. Dann sah ich mich um und erblickte, nur einige Schritte vor mir, ein seltsames Ungetüm. Ein fast völlig verrosteter Bus stand dort, ohne Räder, eher wohl das Gerippe eines Fahrzeuges, aber noch nicht ganz. Na und, ein Bus, dachte ich gleichgültig, um dann unvermutet die vernickelte Firmenaufschrift zu Gesicht zu bekommen. Verblüffenderweise war sie heil geblieben. Ikarus . Seinerzeit eine sehr populäre ungarische Marke, es gab davon mehrere Generationen. Hier handelte es sich um einen der ältesten Typen, ein Veteran war das. Nur irgendwie seltsam. Denn das hier war offenbar kein Fahrzeug zur Personenbeförderung. Sogar an dem, was noch übrig war, konnte man es sehen. Den Bus rechnete ich ebenfalls meinem Nullzyklus zu, daher begann ich, einzig aus Neugier, mich zu nähern. Irgendwelche Wände, Ummantelungen, Platten, Reste von Sitzen. Klar, dass das kein normaler Reisebus war. Und plötzlich die Erleuchtung: Ein Röntgenbus! Eine mobile Röntgenstation ! Hätte ich nicht gleich darauf kommen können? Mir wurde warm ums Herz: Noch so ein Dinosaurier aus alten Zeiten. Einer von denen, die damals ganz Litauen abklapperten. Deren Betreiber wissen wollten, wer von den Sowjetbürgern es noch wagte, an Tuberkulose zu erkranken, auch Tbc genannt oder volkstümlicher: Schwindsucht . Nun stellt euch mal schön in der Reihe auf, und dann einer nach dem anderen. Bitte den Oberkörper frei machen. Hier hinstellen. Tief einatmen. Die Luft anhalten. Gut, das war’s. Der Nächste, der Nächste, der Nächste … Schulen, Betriebe, Arbeitskollektive, alle in Reih und Glied. Vielleicht hatte sich bei irgendeinem ein winziger Tuberkuloseherd gebildet?
    Zur Quelle zurückgekehrt, benachrichtigte ich den Regisseur. Komm mal mit, ich will dir was zeigen! Er zuckte nur mit den Schultern und folgte mir, wir hatten ja Zeit. Schweigend näherten wir uns dem von mir entdeckten Gefährt. Es dämmerte bereits, aber er erkannte den Bus sofort. – Röntgen , klar! Ich erinnere mich! Ich spürte, dass er aufgeregt war, nur um nichts in der Welt hätte er das zugegeben. Er bückte sich und kroch hinein, fluchend, weil es schon dunkel und kaum etwas zu sehen war. Was eigentlich wollte er bei hereinbrechender Nacht dort erblicken? Vielleicht den eigenen Brustkorb, dazu die in endlosen Proben verräucherte Lunge? Ich stand neben dem Ikarus, wartete und wartete, es wurde allmählich langweilig.
    Endlich zwängte er sich heraus, stolperte, fluchte abermals, fuhr sich mit der Hand über den Hosenboden. Das war’s, rief er, fahren wir! Ich schwieg, wenn ihm danach war, würde er selbst mit der Sprache herausrücken. So kam es auch: In der Nähe der zukünftigen Botschaft Georgiens drehte sich der Regisseur zu mir um und verkündete halblaut:
    Alles klar. Wir machen den Film. Über diesen Röntgen . Und über diese Busse. Morgen fahren wir wieder dorthin, tagsüber natürlich. Übernimmst du das Drehbuch?
    Ich zuckte mit den Schultern, aber er hatte bereits entschieden.

2
    Denn es gibt nur noch ein großes Abenteuer – die Reise in das eigene Ich. Und da ist weder Raum noch Zeit von Bedeutung, auch nicht äußere Tätigkeit.
    Henry Miller: Wendekreis des Krebses
    Im Sommer 1968 unterschied ich mich kaum von meinen Altersgenossen: Wann immer es ging, vermied ich jedwede Verantwortung. Der Selbstschutzinstinkt war in der Tat sehr ausgeprägt, Feigheit mochte man das nicht nennen. Verantwortung mied ich also, dafür bemerkte ich wahnsinnig schnell die Fehler und Versäumnisse anderer, meist denselben Mangel an
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