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Mobile Röntgenstationen - Roman

Mobile Röntgenstationen - Roman

Titel: Mobile Röntgenstationen - Roman
Autoren: ATHENA-Verlag e. K.
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und rauchte ebenfalls. Ihre Sandaletten waren hässlich, wie auch dieser Sarafan. Was will man sagen – Russistin. Wäre sie ein Mann, fiel mir ein, liefe sie wahrscheinlich in einem tolstojschen Bauernkittel herum.
    Ich beobachtete sie ebenfalls aus den Augenwinkeln. Zum ersten Mal begegneten sich unsere Blicke. Ich war zu gehemmt, um etwas zu sagen, das hübsche Gesichtchen schien beinahe so etwas wie Weisheit auszustrahlen. Und wenn sie es auf der harten Ruderbank aushielt, musste sie auch Hintern haben! Von anderen hatte ich bereits von Lucijas Devise gehört, die sie sich in ihr Wappen, wenn sie ein solches besäße, eingravieren ließe: Nie werde ich heiraten und niemandes Sklavin sein! Schön. Als könnte sich da eine kaum retten vor Heiratskandidaten. Meinetwegen. Mich interessierten hier mehr die Praktikantinnen aus dem nahe gelegenen Lehrerseminar, das sich damals schon Pädagogische Fachschule nannte. Die deklamierten wenigstens keine pädagogischen Poeme, waren freundlich und lachten ständig. Einige schienen richtige Athletinnen zu sein, mit den Kindern trieben sie Späße und kamen gut mit ihnen zurecht. Lucija, wie streng und prinzipienfest sie sich auch gab, hatte es da schwerer. Allzu sehr liebte sie es, Befehle zu erteilen: Geh da und dort hin! Bring dies und das! Gib das her! Vergiss dies und jenes nicht! Diese Stadtkinder machten sich offen über sie lustig. Einmal suchte sie, wahrhaft in Rage, das Seeufer ab, als Daiva aus Kaunas sich im Kohlenkeller der im Sommer leeren Schule versteckt hatte, niemandem war es in den Sinn gekommen, dort nachzusehen. Nach einer halben Stunde suchte bereits das ganze Lager, selbst der Lagerleiter, der nicht versäumte, auch Lucija eine Lektion zu erteilen: Du bist verantwortlich! Du! Ganz zufällig steckte ich den Kopf in diesen Keller und erblickte in der Dunkelheit ein leuchtendes Augenpaar. Komm schon raus, alles ist gut, hab keine Angst. Ich nahm die Kleine an die Hand und half ihr ans Tageslicht. Danach fiel mir Lucija vor allen anderen um den Hals, zuckte aber sogleich zurück, als habe sie sich verbrannt. So etwas verletzte ihre Prinzipien. Die Ausreißerin wäre von ihr ordentlich versohlt worden, aber die wurde schon von Frau Saulynienė, einer älteren Lehrerin, beruhigt. Alles ging wieder seinen gewohnten Gang. Der Lagerleiter nahm eine Praktikantin in seinen Kahn und ruderte mit ihr hinaus, um die Fischnetze zu kontrollieren, die Kinder spielten Völkerball, die Älteren ließen lässig ein schon ramponiertes Leder in den Korb gleiten, dann begaben sich alle zum Abendbrot.
    Jetzt blinzelte Lucija in den trüben Himmel, blies den Rauch einer Zigarette in die Luft und erklärte: Die Kinder können wir heute nicht ins Kino lassen. Ist für Erwachsene.
    Was bringen sie denn? – wollte ich wissen.
    Sonne und Schatten , einen bulgarischen Streifen. Ich werde ihn mir zum zweiten Mal ansehen. Ein großartiger Film!
    Der Film erschien mir sentimental und seicht. Lucija erlaubte mir, ihr Händchen zu halten, tat, als habe sie nichts bemerkt, als ich meine Pranke auf ihr schmales, hartes Knie legte. Aber als ich, dadurch ermutigt, versuchte, ihre Schenkel zu betasten, rammte sie mir so gekonnt und geübt – ich zweifle nicht, dass es geübt war! – ihren pfahlspitzen Ellenbogen in die Seite, dass mir für einen Augenblick die Luft wegblieb. In diesem Moment endete auch der Streifen: konec fil’ma.
    Untergebracht war ich im Erdkundekabinett, zusammen mit dem Kraftfahrer des Lagers, dem Hausmeister und einem Hilfsarbeiter. Nachdem ich von deren Schnarchkonzert wach geworden war, erhob ich mich und beschloss, ein wenig herumzulaufen. Morgen war Sonntag, Besucher wurden erwartet, es würde ein ruhigerer Tag werden mit Zeit sich auszuschlafen.
    In der Schulkantine ertappte ich den Lagerleiter, schon wieder mit einer anderen Praktikantin, und ausgerechnet auf dem Tisch, hörte, wie sie, Athletin, Meisterin im Diskuswerfen an der Pädagogischen Fachschule, heulte und schluchzte und der Lagerleiter sie heuchlerisch zu beruhigen suchte: Mein Püppchen, jetzt sind wir richtige Kollegen! Dann blickte er zur Seite, ganz unwillentlich, und sah mich. Ich schlich mich still nach draußen, rauchte und beobachtete, wie über den Wellen des Sees ein warmer, duns-tiger Nebel hing. Ein richtiger Sommer!
    Am nächsten Tag, schon gegen Abend, bestellte er mich in sein Kabinett, goss Schnaps in ein geschliffenes Glas, legte eine Gurke daneben, schenkte auch sich selbst ein, und
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