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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht
Autoren: Phil Rickman
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Nützliches beigebracht, Mom?›, dachte ich, ja, das Kind hat recht. Da stehen wir also, geweihte Pfarrer, und was ausgerechnet haben sie uns nicht gelehrt? Den Umgang mit dem Übernatürlichen. Damals wusste ich noch nichts von Mr.   Dobbs. Ich wusste nicht einmal, dass jede Diözese so jemanden wie Mr.   Dobbs hat oder worin genau ihre Aufgabe besteht. Ich wollte einfach nur wissen, wie vielen anderen Frauen es ebenso geht wie mir – oder ob ich einfach nur naiv war.»
    «Damit haben Sie vermutlich einen empfindlichen Nerv getroffen.»
    «Kann sein. Das Thema wurde jedenfalls nicht weiter diskutiert, und auch anschließend hat mich niemand darauf angesprochen. Mit Ausnahme von Michael Hunter. Er kam später im Restaurant auf mich zu und hat mich zum Essen eingeladen. Ich dachte, er wollte nur   … Egal, so war es jedenfalls. Ich hatte keine Ahnung, dass er mein neuer Bischof werden würde.»
    «Aber er hat sich an Sie erinnert. Nachdem er erst mal die Füße unter dem Tisch hatte, ist diesem revolutionären Fortschrittsgeist aufgegangen, dass er ein gewisses Problem haben könnte, und das hieß Kanonikus T.   H.   B.   Dobbs, sein reaktionärer alter Diözesan-Exorzist.
Nicht
‹Berater für spirituelle Grenzfragen›. Ganz bestimmt nicht.»
    «Ich fürchte, der Ausdruck ‹Berater für spirituelle Grenzfragen› stammt vom Bischof.»
    «Allerdings.» Sie spürte sein Lächeln. «Wissen Sie, warum Dobbs den Ausdruck
spirituelle Grenzfragen
nicht mag? Weil er darin ein Kryptonym für
Luzifer
sieht. Das erzählt man sich jedenfalls. Muss eine echte Erleichterung für Mick Hunter gewesen sein,als man dem alten Kerl nach seinem Herzinfarkt den Ruhestand nahegelegt hat.»
    «Aber noch ist er da, und ich bin nur hier, weil der Bischof möchte, dass ich mir eine Vorstellung von   …»
    «Nein, junge Frau.» Huw hob ruckartig den Kopf. «Das hier ist
kein
Schnupperkurs für Leute, die sich einfach mal unverbindlich die Grundlagen der metaphysischen Kriegsführung ansehen wollen, und das weiß Hunter ganz genau. Er will Sie unbedingt.»
    «Es ist eine heikle Aufgabe. Und politisch ist sie auch. Jemand muss die Kastanien aus dem Feuer holen, wenn es mal wieder so eine Satanisten-missbrauchen-Kinder-Panik gibt. Und ich will keinen mittelalterlichen Unsinn mit Glocken, Bibelsprüchen, Kerzen und Weihrauchverneblung haben. Ich will jemanden, der intelligent, diplomatisch und auf Zack ist. Aber auch sympathisch, flexibel, undogmatisch und geradeheraus. Fühlen Sie sich mit dieser Beschreibung getroffen, Merrily?»
    So weit Mick Hunter in seinem Arbeitszimmer mit Blick über den Fluss Wye. Neununddreißig, schlank, fit und vibrierend vor Energie und Ehrgeiz. Dichtes braunes Haar und ein mutwilliger Blick aus blauen Augen.
    «Und?», fragte Huw Owen mit gespielter Ängstlichkeit. «Fallen Sie jetzt mit dem ganzen Feministinnen-Arsenal über mich her, wenn ich Sie bitte, dieses Amt nicht anzunehmen?»
    Merrily schwieg. Sie hatte so etwas erwartet, aber das bedeutete nicht, dass sie wusste, wie sie darauf reagieren sollte. Das Angebot des Bischofs war auch für sie selbst ein Schock gewesen. Sie hatte kaum etwas über dieses Amt gewusst. Aber wusste eigentlich der Bischof viel mehr? Huw schien das jedenfalls nicht zu glauben.
    «Ich habe im Grunde viel für Frauen übrig, wissen Sie», sagte er entschuldigend. «Ich war ihnen zu meiner Zeit sogar
sehr
zugetan.»
    «Sie wollen uns beschützen, stimmt’s?»
    «Ich will jeden beschützen. Ich werde übernächstes Jahr sechzig und fange an, mich verantwortlich zu fühlen. Ich will nicht, dass irgendetwas hochkommt. Vor den Toren ballt sich zu viel negative Energie. Ich will die Türen verrammeln und die Ketten vorlegen.»
    «Auf einmal sollen die großen, starken männlichen Ketten die schwachen Glieder ersetzen?»
    «Ich war immer für die Ordination weiblicher Pfarrer.»
    «Klingt so.»
    «Nur dass das alles viel früher hätte anfangen müssen, da liegt das Problem. Die Frauen brauchen Zeit, um eine Tradition aufzubauen, Geltung und Einfluss, bevor sie sich in den Sturm hinauswagen.»
    «Und wie lange dauert es, bis diese Geltung aufgebaut ist? Wie lange dauert es Ihrer Meinung nach, bis wir dazu in der Lage sind, es mit
Weinenden
und
Entladungen
und
Anhaltern
aufzunehmen?»
    «Ein paar hundert Jahre.»
    «Na großartig.»
    «Sehen Sie   …» Ein paar Nachtwolken mit Silberrand zogen hinter Huw über den dunklen Himmel. «Sie sind keine Fundamentalistin, keine
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