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Mittsommersehnsucht

Mittsommersehnsucht

Titel: Mittsommersehnsucht
Autoren: Elfie Ligensa
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Seite, dorthin, wo die bunten Häuser der Brygge standen. Bereits 1350, hatte ihr Jonas bei ihrem ersten Besuch in seiner Heimatstadt stolz erzählt, war die erste Hanse-Niederlassung hier begründet worden. Und damit der Ruhm und Reichtum der Stadt. Die spitzgiebeligen bunten Holzhäuser waren zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ein Opfer der Flammen geworden, doch seit 1955 wieder aufgebaut und mit neuem Leben erfüllt worden. Jetzt waren sie in helles Sonnenlicht getaucht und zogen das Interesse der Touristen, die durch die Straßen schlenderten, auf sich.
    Auch der Ulriken, einer der sieben Berge, die die Stadt umgaben, war von der Sonne beschienen. Die Schwebebahn, die hinauffuhr, glänzte silbern inmitten von grünen Bäumen und braunen Felsen.
    Tränen stiegen Andrea in die Augen, als sie sich daran erinnerte, dass sie häufig mit Jonas durch die engen Gassen des Stadtkerns spaziert war und sie gemeinsam in den Geschäften gestöbert hatten. Immer wieder hatte Jonas bei einer solchen Gelegenheit von der gemeinsamen Zukunft gesprochen, von einem Leben mit ihr.
    »Komm zu mir. Ich bin sicher, du wirst rasch einen Job finden, wenn du dich an einem Krankenhaus in der Gegend bewirbst«, hatte er ihr versichert. »Und alle Patienten werden dich lieben – so wie ich!«
    »Er ist es nicht wert.« Die dunkle Stimme des Taxifahrers riss sie aus ihren Gedanken.
    »Was meinen Sie?«
    »Der Mann – er ist nicht wert, dass Sie um ihn weinen. Machen Sie einen Strich unter die Beziehung, fangen Sie neu an.« Er wendete und fuhr zum Anlegeplatz des Hurtigruten-Schiffes. »Wollen wir fragen, ob noch eine Kabine frei ist?«
    Andrea zögerte. Dieser alte Mann besaß eine ungeheure Ausstrahlung. Seine Augen blickten wach und wissend, seine dunkle Stimme hatte einen fast suggestiven Tonfall. Dabei sah er aus wie ein Waldschrat. Nein, korrigierte sie sich sofort, hier sagt man ja Troll dazu.
    Doch Trolle trieben oft ihren Schabernack mit den Menschen, nicht immer verliefen die Begegnungen mit ihnen positiv. Bengt aber schien ein sehr netter Kerl zu sein. Vielleicht war er ein liebenswerter Troll. Sie lächelte. Was für ein Unsinn! Sie lebte im 21. Jahrhundert, da gehörten die Geschichten von Trollen und Elfen ins Märchenland. Langsam folgte sie dem Alten hinüber zum Anlegeplatz. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er sie gesiezt hatte. Das war ungewöhnlich, denn in Norwegen duzte man sich. Ausnahmen bildeten höchstens Respektspersonen oder sehr viel ältere Menschen. Anfangs war es ihr nicht leichtgefallen, sich daran zu gewöhnen.
    »Andrea?«
    Jonas!
    Er kam vom Parkplatz schräg gegenüber. Sein Hemd war, wie sie mit einer gewissen Ironie feststellte, falsch geknöpft, das sonst stets korrekt gescheitelte Haar nur mit ein paar Fingerstrichen geglättet. Der Blick, mit dem er Andrea ansah, war eine Mischung aus Unglauben und Entsetzen. »Du … du bist hier?«
    »Wie du siehst.« Glaubt er wirklich, ich würde mich für Tage oder gar Wochen verkriechen und um ihn weinen? Das kommt ja gar nicht in Frage!, schoss es ihr durch den Kopf. Gesunde Wut und der trotzige Gedanke, dass sie auch ohne ihn gut zurechtkam, ließen sie kühl reagieren.
    »Ja aber … Ich … wir … du wolltest doch …«
    »Seit wann stotterst du, Jonas?« Ihr fiel es wirklich nicht leicht, ihm ruhig entgegenzusehen. Am liebsten wäre sie auf ihn zugerannt und hätte ihm das Gesicht zerkratzt. Verrückt, dachte sie im nächsten Moment. So was sieht man nur im Kino, da lassen die betrogenen Frauen ihrem Frust freien Lauf. Aber wir sind hier auf der Straße, und ich … ich werde ihm nicht zeigen, wie sehr er mich verletzt hat. Doch ihr Herz klopfte heftig, sie spürte, dass ihre Hände verdächtig zitterten, und verbarg sie rasch in den Jackentaschen.
    »Was machst du hier?«
    »Das könnte ich dich auch fragen. Vor allem: Was soll dein Aufzug? Du siehst aus, als kämst du frisch aus dem Bett.« Der Seitenhieb musste sein, auch wenn ihr die Vorstellung beinahe körperlich weh tat. Immer wieder sah sie die Szene vor sich: Jonas und dieses blonde Mädchen auf seinem Bett. So wilden Sex hatten sie beide nie gehabt. Verdammt, warum eigentlich nicht? War sie ihm nicht aufregend genug gewesen? Hatte er mit ihr nicht diese Lust empfunden? Und wenn es so war – warum hatte er nicht mit ihr darüber gesprochen?
    Jonas wurde rot. Sein Blick irrte suchend umher und blieb schließlich an einem jungen Mädchen hängen, das sich mit dem Fahrrad zwischen zwei geparkten Wagen
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