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Mittsommersehnsucht

Mittsommersehnsucht

Titel: Mittsommersehnsucht
Autoren: Elfie Ligensa
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Tränen liefen ihr übers Gesicht. Es tat gut, weinen zu können, es nahm den Druck von ihrer Brust. Und dennoch blieben tausend quälende Gedanken: Warum tat ihr Jonas das an? Was faszinierte ihn an dem blonden Mädchen? Ihre perfekte Figur? Die Jugend? Ihre Unbeschwertheit? Andrea konnte sich gut vorstellen, dass die blonde Norwegerin das Leben unbekümmert genoss, dass sie von den Pflichten des täglichen Lebens, die ihren eigenen Alltag prägten, noch nicht viel wusste – oder wissen wollte.
    Seinetwegen hab ich daheim alles aufgegeben … der Gedanke ließ Andrea noch heftiger weinen. Sie hatte an die wahre Liebe geglaubt, war sicher gewesen, mit Jonas in Norwegen ein neues Leben anfangen zu können. Sie hatten doch so viele Pläne gemacht. Hatten sich die gemeinsame Zukunft in vielen Stunden ausgemalt. Und jetzt? Alles vorbei. Von einer Sekunde zur anderen war ein Traum geplatzt.
    Warum nur? Warum? Die Frage, auf die sie keine Antwort wusste, tat körperlich weh.
    »Zum Hafen, nicht wahr?«, fragte der Taxifahrer.
    Als Andrea nickte, glitt ein kleines Lächeln über das faltige Gesicht des Mannes. »In zwei Stunden geht ein Schiff nach Norden«, erklärte er mit ruhiger dunkler Stimme. »Buchen Sie eine Passage, Sie werden es nicht bereuen.«
    »Aber …«
    Er wischte den Einwand, den sie noch nicht mal ausgesprochen hatte, mit einer kleinen Handbewegung weg. »Sie wollen doch in meiner Heimat bleiben, oder?« Und ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er beinahe beschwörend fort: »Sie werden bleiben. Und glücklich werden.«
    Durch das halb geöffnete Fenster wehte der Wind den Geruch nach Salz und Dieselöl, nach Fisch und Tang. Doch es duftete auch nach frischem Gebäck, und als das schwarze Taxi an einem Bäckereistand vorüberfuhr, knurrte Andreas Magen unüberhörbar. Sie biss sich auf die Lippe. Vor lauter Vorfreude auf Jonas hatte sie kaum etwas zu sich genommen vor dem Abflug. Und den Snack im Flieger hatte sie ignoriert, nur zwei Kaffee getrunken.
    In den Lärm der Autos mischten sich laute Rufe der vielen Fischhändler, die fangfrische Lachse, Dorsch und Krabben anboten. Hin und wieder erklang das laute Tuten eines Schiffes, das auslief. Große Fähren und kleinere Ausflugsschiffe verließen den Hafenbereich oder liefen ein. Fischerboote und ein paar Segelyachten nahmen von einem anderen Hafenbereich aus Kurs hoch in den Norden.
    »Dort liegt die Midnatsol , eines der schönsten Schiffe der Hurtigruten-Flotte.« Der bärtige Chauffeur wies mit der Hand nach links, wo am Kai ein Schiff lag, das fast schon die Ausmaße eines Kreuzfahrtschiffes besaß. »Ein Neffe von mir ist dort Erster Offizier. Ich kann mit ihm reden … er wird bestimmt noch einen Platz für Sie haben. Ach, übrigens, ich heiße Bengt.«
    »Und ich Andrea.« Der Wind blies ihr eine blonde Locke ins Gesicht, die sich aus der lässig zusammengebundenen Frisur gelöst hatte. Während ihres Dienstes trug Andrea das blonde Haar meist hochgesteckt, aber Jonas liebte es, seine Finger in den langen Haaren zu verstecken. Bei der Erinnerung an seine Hände, die erst das Haar, dann den Nacken und später ihren ganzen Körper gestreichelt hatten, bekam Andrea eine Gänsehaut.
    Eine Möwe, die dicht über der Frontscheibe des Taxis hinwegflog, riss sie aus den Gedanken. Mit einer fast unwilligen Bewegung steckte sie die Haarlocke in das Gummiband, mit dem sie die Haare am Morgen zusammengebunden hatte.
    Von einem Fährschiff, das den Hafen verließ, erklang dreimal lang anhaltendes Tuten. Ein paar Autos hupten, zwei kleine Jungen auf ihren Rädern fuhren laut klingelnd an dem Taxi vorbei. Sie hielten an einem Eisstand und bestellten, wild gestikulierend, ihre Eiswaffeln.
    Der Taxifahrer drehte sich halb um. »Norwegen ist ein guter Platz zum Leben. Vergessen Sie das nicht.«
    »Ich weiß. Aber ich kann trotzdem nicht einfach auf ein Schiff gehen. Das war nicht geplant. Und ich habe gar nicht genug Gepäck bei mir. Und außerdem …«
    »Außerdem brauchen Sie Abwechslung, das ist am wichtigsten. Und Kleidung kann man überall kaufen.« Er zuckte mit den Schultern. »Auf einem Postschiff muss man keine Modenschau machen.« Er strich sich wieder über den Bart. »Ich denke mir, dass Sie die wichtigsten Dinge im Koffer haben, oder? Für die ersten Tage reichen sowieso zwei Pullover und eine Wetterjacke, es ist Regen angesagt.«
    Wider Willen musste Andrea lächeln. »So kann auch nur ein Mann reden.« Sie sah vom Hafenkai aus hinüber zur anderen
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