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05 - Der Kardinal im Kreml

05 - Der Kardinal im Kreml

Titel: 05 - Der Kardinal im Kreml
Autoren: Tom Clancy
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Der Kardinal im Kreml
Roman
Aus dem Amerikanischen von Hardo Wichmann
     
GOLDMANN
     
Prolog
    Sie nannten ihn den Bogenschützen. Das war ein Ehrentitel, auch wenn seine Landsleute vor einem guten Jahrhundert ihre Bogen weggelegt hatten, sobald die ersten Feuerwaffen in ihrem Land auftauchten. In gewisser Hinsicht war der Name ein Symbol für die Zeitlosigkeit des Kampfes. Der erste der Invasoren aus dem Westen - denn als solche sah man sie - war Alexander der Große gewesen, und viele waren ihm gefolgt. Am Ende waren sie alle gescheitert. Ihr islamischer Glaube sei die Grundlage ihres Widerstands, behaupteten die afghanischen Stammeskrieger; doch verbissener Mut war für diese Männer ebenso charakteristisch wie ihre dunklen, erbarmungslosen Augen.
    Der Bogenschütze war ein junger Mann und alt zugleich. Wenn er den Wunsch und die Gelegenheit hatte, in einem Bergbach zu baden, sah man die Muskeln an seinem dreißigjährigen Körper; die glatten Muskeln eines Menschen, für den die Überwindung einer dreihundert Meter hohen, nackten Felswand ebensowenig bemerkenswert war wie ein Bummel zum Briefkasten.
    Alt an ihm waren die Augen. Afghanen sind durchweg gutaussehende Menschen, deren markante Züge und helle Haut rasch von Wind, Sonne und Staub gegerbt werden und sie älter erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind. Die Spuren im Gesicht des Bogenschützen hatte jedoch nicht der Wind hinterlassen. Bis vor drei Jahren war er Mathematiklehrer gewesen, Hochschulabsolvent in einem Land, in dem die meisten es für ausreichend halten, wenn sie den Koran lesen können; er hatte, wie es Sitte war, früh geheiratet und zwei Kinder gezeugt. Doch seine Frau und seine Tochter waren tot, zerrissen von den Raketen eines Suchoi-Kampfflugzeugs. Sein Sohn war verschollen, verschleppt. Nachdem die Sowjets das Dorf seiner Frau aus der Luft zerstört hatten, waren ihre Bodentruppen gekommen, um die überlebenden Erwachsenen zu töten und die Waisen einzusammeln und zur Erziehung und Ausbildung in die Sowjetunion zu schicken. Alles nur, weil seine Frau die Enkel noch einmal der Großmutter zeigen wollte, entsann sich der Bogenschütze, alles nur, weil eine sowjetische Streife wenige Kilometer vom Dorf beschossen worden war. An dem Tag, an dem er davon erfahren hatte - mit einwöchiger Verspätung -, hatte der Mathematiklehrer die Bücher säuberlich auf dem Pult aufgestapelt und war aus der Kleinstadt Ghazni in die Berge gegangen. Eine Woche später war er nach Einbruch der Dunkelheit mit drei Männern in die Stadt zurückgekehrt und hatte sich seiner Vorfahren würdig erwiesen, indem er drei sowjetische Soldaten tötete und ihnen ihre Waffen abnahm. Diese erste Kalaschnikow hatte er noch heute.
    Den Namen Bogenschütze trug er aber aus einem anderen Grund. Der Anführer der kleinen Gruppe von Mudschaheddin «Märtyrer Allahs» war ein einfühlsamer Mann, der nicht auf den Neuankömmling hinabsah, nur weil der seine Jugend mit dem Erlernen fremdländischen Teufelszeugs verbracht hatte. Er warf dem jungen Mann auch seinen anfänglichen Mangel an Glauben nicht vor. Als der Lehrer zu der Gruppe stieß, waren seine Kenntnisse vom Islam höchst oberflächlich, doch der Anführer erinnerte sich an die bitteren Tränen des jungen Mannes, als ihr Imam ihn im Willen Allahs unterwies. Binnen eines Monats war aus ihm der härteste - und erfolgreichste - Kämpfer der Gruppe geworden, eindeutig eine Manifestation von Gottes Willen. Und ihn hatte der Führer schließlich auserwählt, nach Pakistan zu reisen, um mit Hilfe seiner mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse den Einsatz von Boden-Luft-Raketen zu erlernen. Die ersten SAM, mit denen ein stiller, ernster Mann aus Amerikastan die mudschaheddin ausgerüstet hatte, waren sowjetische SA-7 gewesen, bei den Russen als strela oder «Pfeil» bekannt. Wirksam war diese erste tragbare Luftabwehrrakete nur, wenn sie mit großem Geschick eingesetzt wurde, und über dieses verfügten nur wenige. Unter ihnen war der Mathematiklehrer der Beste, und seine Erfolge mit den russischen «Pfeilen» trugen ihm bei den Männern der Gruppe den Ehrennamen Bogenschütze ein.
    Nun wartete er mit einem neuen Geschoß, der amerikanischen Stinger. Er lag auf dem messerscharfen Grat hundert Meter unter dem Gipfel des Berges, von dem aus er das Gletschertal in seiner gesamten Länge überschauen konnte. Hinter ihm war Abdul, sein Beobachter. Bezeichnenderweise bedeutete sein Name «Diener», denn
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