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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Autoren: Salman Rushdie
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Nähe vom Strand von Chowpatty aus.
    Chowpatty zumindest sah noch fast so aus wie früher: ein schmutziger Sandstreifen, auf dem es von Taschendieben und Spaziergängern und Verkäufern von Heiße-Channa-Channa-heiß, von Kulfi und Bhel-Puri und Chutter-Mutter wimmelte; aber ein Stück weiter hinunter am Marine Drive sah ich, was Tetrapoden erreicht hatten. Auf einem Grund, den das Narlikar-Konsortium dem Meer abgerungen hatte, ragten ungeheure Monster in den Himmel, die seltsame ausländische Namen trugen: OBEROI-SHERATON schrie es mir von weitem entgegen. Und wo war das Neonschild mit dem Jeep? ... «Komm weiter, Pictureji», sagte ich schließlich und presste Aadam fest an meine Brust. «Lass uns hingehen, wo wir hinmüssen, und es hinter uns bringen; die Stadt ist verändert worden.»
     
    Was kann ich über den Mitternachts-Krypto-Klub sagen? Dass er unterirdisch gelegen, geheim (wenn auch allwissenden Paanhändlern bekannt) ist, dass seine Tür kein Schild trägt, seine Kundschaft die Creme der Bombayer Gesellschaft ist? Was sonst noch? Ach ja: Geführt wird er von einem gewissen Anand «Andy» Shroff Geschäftsmann und Playboy, den man tagsüber meistens im Sun’n’Sand Hotel an der Juhu Beach antrifft, wo er sich inmitten von Filmstars und entthronten Prinzessinnen sonnt. Ich frage Sie: ein Inder, der Sonnenbäder nimmt? Aber anscheinend ist das ganz normal, die internationalen Playboy-Regeln müssen buchstabengetreu befolgt werden, einschließlich der, vermute ich, die eine tägliche Sonnenandacht festsetzt.
    Wie naiv ich bin (und ich dachte immer, Sonny mit den Zangendellen sei der Einfältige!) – nie hätte ich es für möglich gehalten, dass es Orte wie den Mitternachts-Krypto-Klub gab! Aber natürlich gibt es sie, und Flöten und Schlangenkörbe umklammernd, klopften wir drei an seine Pforte.
    Durch ein kleines Eisengitter in Augenhöhe sah man, wie sich etwas bewegte, und eine sanfte, einschmeichelnde weibliche Stimme forderte uns auf, unser Anliegen vorzutragen. Picture Singh verkündete:«Ich bin der Bezauberndste Mann der Welt. Sie beschäftigen hier einen anderen Schlangenbeschwörer als Varietekünstler; ich werde ihn herausfordern und meine Überlegenheit beweisen. Dafür will ich kein Honorar. Es ist, Capteena, eine Ehrensache.»
    Es war Abend; dank einem glücklichen Zufall war Herr Anand «Andy» Shroff anwesend. Und, um es kurz zu machen, Picture Singhs Herausforderung wurde angenommen, und wir betraten jenes Lokal, dessen Name mich bereits einigermaßen irritiert hatte, weil er das Wort Mitternacht enthielt und weil seine Initialen einst der Deckname für meine eigene heimliche Welt gewesen waren: MKK, die Abkürzung für Metro-Kinderklub, hieß einst auch Mitternachtskinder-Konferenz und war nun von diesem verborgenen Nachtlokal usurpiert worden. Mit einem Wort: Ich fühlte mich überrumpelt. Zwillingsprobleme der blasierten kosmopolitischen Jugend der Stadt: Wie sollte man in einem trockenen Staat Alkohol konsumieren und wie mit Mädchen nach bester westlicher Manier flirten, nämlich gewaltig auf die Pauke hauen, und dabei gleichzeitig absolute Geheimhaltung wahren, um die höchst orientalische Schande eines Skandals zu vermeiden? Das Mitternachts-Krypto war Herrn Shroffs Lösung für die quälenden Schwierigkeiten der Jeunesse dorée. In dieser Unterwelt der Unzucht hatte er eine Welt stygischer Dunkelheit, schwarz wie die Hölle, geschaffen; in der verschwiegenen mitternächtlichen Dunkelheit trafen sich die Liebespaare der Stadt, tranken importierte geistige Getränke und flirteten; eingesponnen in die isolierende künstliche Nacht, knutschten sie ungestraft. Die Hölle, das sind die Phantasievorstellungen anderer Leute: In jeder Saga muss wenigstens ein Abstieg in den Jahannum vorkommen, und ich folgte Picture Singh mit einem kleinen Sohn auf den Armen in die tintige Schwärze des Klubs.
    Über einen üppigen schwarzen Teppich – mitternachtsschwarz,
schwarz wie die Lüge, krähenschwarz, schwarz wie der Zorn, schwarz wie das «Hai-yo, schwarzer Mann!», kurzum, über einen dunklen Läufer – wurden wir hinabgeführt von einer Kellnerin mit umwerfenden erotischen Reizen, die ihren Sari aufreizend tief auf den Hüften und eine Jasminblüte im Nabel trug; aber als wir in die Dunkelheit hinabstiegen, drehte sie sich mit einem beruhigenden Lächeln zu uns um, und ich sah, dass ihre Augen geschlossen waren; auf ihre Lider waren unirdisch glänzende Augen gemalt. Ich konnte nicht
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