Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wen die Goetter strafen

Titel: Wen die Goetter strafen
Autoren: Sidney Sheldon
Vom Netzwerk:
1
    Eiligen Schrittes lief sie einen Straßenzug vom Weißen Haus entfernt die Pennsylvania Avenue entlang, zitterte im kalten Dezemberwind, als sie das schreckliche, ohrenbetäubende Heulen der Luftschutzsirenen hörte und dann den Bomber hoch über ihr, bereit, seine tödliche Fracht abzuladen. Sie blieb stehen, wie erstarrt vor Entsetzen, umgeben von Panik und Schrecken.
    Mit einem Mal war sie wieder in Sarajevo, vernahm das schrille Pfeifen der fallenden Bomben. Sie kniff die Augen zusammen, doch das Geschehen rundum konnte sie nicht ausblenden. Der Himmel stand in Flammen, und sie war taub vom Lärm der Schnellfeuergewehre, dem Donnern der Flugzeuge und dem Krachen der tödlichen Mörsergranaten. Die Gebäude in der Nähe zerbarsten, es hagelte Zement, Ziegelsteine und Staub. Entsetzte Menschen stoben nach allen Seiten davon, um dem Tod zu entrinnen.
    Von weit, weit weg ertönte eine Männerstimme. »Ist alles in Ordnung?«
    Langsam, vorsichtig schlug sie die Augen auf. Sie war wieder auf der Pennsylvania Avenue, im fahlen Licht der Wintersonne, und hörte das leiser werdende Geräusch einer Düsenmaschine und die Sirene eines Krankenwagens, die diese Erinnerung ausgelöst hatten.
    »Miss – 
ist alles in Ordnung

    Nur mühsam fand sie wieder in die Gegenwart zurück. »Ja. Mir – mir geht's gut, danke.«
    Er starrte sie an. »Moment mal! Sie sind Dana Evans. Ich bin ein großer Verehrer von Ihnen. Ich schaue mir jeden Abend Ihre Sendung auf WTN an, und ich habe alle Ihre Beiträge aus Jugoslawien gesehen.« Er klang hellauf begeistert. »Muss ganz schön aufregend für Sie gewesen sein, von diesem Krieg zu berichten, was?«
    »Ja.« Dana Evans' Hals war trocken.
Aufregend, wenn man mit ansehen muss, wie Menschen zerfetzt, Babys in Brunnen geworfen werden, zerrissene Körperteile wie Unrat auf einem rot verfärbten Fluss dahintreiben.
    Plötzlich war ihr übel. »Entschuldigen Sie.« Sie wandte sich ab und hastete davon.
    Dana Evans war erst drei Monate zuvor aus Jugoslawien zurückgekehrt und ihre Erinnerungen waren noch allzu frisch. Es kam ihr geradezu unwirklich vor, bei hellem Tageslicht ohne jede Angst die Straße entlanggehen zu können, den Gesang der Vögel und das Lachen der Menschen zu hören. In Sarajevo hatte es kein Lachen gegeben, nur das Krachen der einschlagenden Granaten und die qualvollen Schreie, die darauf folgten.
    John Donne hatte Recht
, dachte Dana.
Niemand ist eine Insel. Was einem widerfährt, widerfährt uns allen, denn wir sind alle aus Erde und Sternenstaub gemacht. Gemeinsam erleben wir das Walten der Zeit. Unerbittlich bewegt sich der große Sekundenzeiger des Universums voran, bis die nächste Minute anbricht.
    In Santiago wird ein zehnjähriges Mädchen von seinem Großvater vergewaltigt...
    In New York City küssen sich zwei Jungverliebte bei Kerzenschein...
    In Flandern gebiert ein siebzehnjähriges Mädchen ein crackgeschädigtes Kind...
    In Chicago setzt ein Feuerwehrmann sein Leben aufs Spiel, um eine Katze aus einem brennenden Haus zu retten...
    In São Paulo werden hunderte von Fußballfans zu Tode getrampelt, als bei einem Punktspiel die Tribüne einstürzt...
    In Pisa weint eine Mutter vor Freude, während sie zusieht, wie ihr Kind die ersten Schritte unternimmt...
    All das und unendlich viel mehr ereignet sich innerhalb von nur sechzig Sekunden
, dachte Dana.
Und die Zeit läuft weiter, bis wir alle in der großen, unbekannten Ewigkeit enden.
    Dana Evans war siebenundzwanzig Jahre alt und sah bezaubernd aus. Sie war schlank, hatte nachtschwarzes Haar, große, intelligente graue Augen, ein herzförmiges Gesicht und konnte so herzlich lachen, dass es geradezu ansteckend wirkte. Dana war ein Soldatenkind, die Tochter eines Colonels der US-Armee, der als Waffenausbilder von einem Stützpunkt zum anderen gezogen war, und durch dieses unstete Leben hatte sie von klein auf Gefallen am Abenteuer gefunden. Sie wirkte verletzlich und furchtlos zugleich – eine unwiderstehliche Mischung. Wie gebannt hatten die Menschen vor dem Fernseher gesessen, als sie ein Jahr lang vom Krieg auf dem Balkan berichtet hatte, scheinbar ungerührt inmitten des Schlachtengetümmels auf Sendung ging, ihr Leben aufs Spiel setzte und dennoch nüchtern und sachlich blieb, während ringsum Tod und Verderbnis herrschten. Und jetzt war sie sich ständig der Blicke bewusst, die man ihr zuwarf, des Getuschels, das ringsum einsetzte, wenn sie erkannt wurde. Dana Evans war ihr Bekanntheitsgrad eher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher