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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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Gesängen für die Lazarette Bettzeug zusammengeschneidert werde. Auch Sanitätskurse wurden im Salon abgehalten, und nach und nach wechselten die Gesänge der höheren Jungfrauen von Dur nach Moll.
    Iss jetzt, sagt die Mare drängender, ich muss wieder heim, die Arbeit wartet nicht. Blöder Spruch, denkt der Pankraz und sagt: Aber nur wenn du wegschaust, bis ich fertig bin. Gut, sagt sie und dreht das freundliche Gesicht weg, ich schau auf den Klosterrieder Kirchturm hinüber und zähl bis hundert, dann musst du fertig sein, ja!? Ja, sagt er, und sie sagt, vergiss aber das Beten nicht, und fängt dann, nachdem er kurz vor sich hin gemurmelt hat, zu zählen an. Und bald ist sein Teller leer, schon bei 70 , und er schaut ihr strahlend zu, wie sie die letzten 30 weiterzählt, ohne herzuschauen. Am Ende packt sie alles wieder in den Korb, streicht ihm noch mal übers Haar und läuft den Feldweg wieder hinunter zum Haus, barfuß, wie sie gekommen ist.
    Den Krug hat sie stehenlassen.
    Der Bub steht auf und läuft einer Kuh nach, die auf das Nachbargrundstück hinübergrast, und treibt sie zurück in die Herde. Dann geht er wieder an seinen Platz und packt seine Schulsachen aus. Er ist jetzt bereit zum Lernen.
     

     
    Der Seewirts Toni ist im Lazarett z’Minga drin. Kopfschuss!
    Ja hat er den Helm nicht aufgehabt?
    Schon. Trotzdem.
    Ja Herrschaftszeiten. Gibt’s jetzt so was auch!
    Er ist hautig beieinander, hat der Pfarrer gesagt. Nicht mehr ganz da, und macht dabei mit der einen Hand eine kreisende Bewegung vor seinem Kopf, der Dinewitzer.
    Aha!
     
    Was ist Minga, Vater?, fragt die kleine Theres den Lot und dreht dem Dinewitzer den Rücken hin. Gönnt ihm keinen Blick. Die Stadt, antwortet der Eichenkamerbauer seiner Tochter und fragt den Dinewitzer: Und wie geht’s jetzt weiter bei denen? – Wie es ausschaut, wird er es dem Jungen übergeben müssen, der Seewirt. Oder? Ja ja, sagt der Lot zum Dinewitzer und dann zum Mädchen, das immer noch steif dasteht: Was hast du denn? Nichts, sagt sie. Aber das stimmt nicht. Sie ist aufgewühlt und tief verunsichert. Der Dinewitzer hat sie im Vorbeigehen gegrüßt: Grüß dich Gott Kleine mit dem großen Kopf, hat er gesagt und ist dann einfach weiter hineingegangen in die Küche zum Vater mit seiner Neuigkeit. Sie ist die Treppe hinaufgerannt, in die Kammer, und hat sofort in den Spiegel geschaut. Tränen sind ihr in die Augen geschossen, weil er tatsächlich groß aussah der Kopf, jetzt, mit der Dinewitzerei in ihm drin, die jetzt das Sehen bestimmt bei ihr für den Moment, weil sie zu klein ist noch zum Verstehen der Bosheiten der Alten. Der Vater redet weiter mit dem energiegeladenen Dinewitzer über das ange schossene Hirn des Seewirtsohnes: Da muss der Schuss ja glatt den Helm durchschlagen ham. Und: Schau mal zur Mutter hinein, ob sie was braucht!, schickt er das zurückgekommene Mädchen gleich wieder weg und hört dann wieder auf sein Gegenüber. Der hat noch einen Haufen Neuigkeiten zu berichten. Alle aus dem Krieg. Eine Unzahl Toter und Schwerverwundeter zählt er dem Lot auf, lauter nahe und ferne Bekannte von hüben und drüber des Flusses. Armamputierte, Beinlose, Gesichtsverstümmelte, alles. Von einem, der vollkommen unversehrt an Kopf und Körper sei, aber weder Arm noch Bein mehr dran hat, hat der Dinewitzer gehört. Aber er kenne ihn nicht persönlich.
    Gott sei Dank, sagt der Lot. Sei froh!
    Nicht einmal mehr selber umbringen kann der sich, sagt der Dinewitzer.
    Manchmal fragt der Bauer nach, wenn ihm ein Name nicht gleich geläufig ist. Oft kennt man die Leute nur vom Hörensagen. Aber es sind beinahe nur Bauernsöhne, von denen der Postbote berichtet, und die sind ihm automatisch näher als die anderen, dem Lot, die Anteilnahme ist unmittelbarer. Es könnte einen auch selbst getroffen haben. Man kennt die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn eine familiäre Arbeitskraft für immer ausfällt, und das Leid, das daraus wächst.
    Das Mädchen ist leise in die gute Stube hineingetreten, wo die Mutter mit hohem Fieber auf dem Kanapee liegt, das die große Schwester ihr zum Bett hergerichtet hat. Zwei Tage vorher war die Mutter im Stall unvorsichtig auf eine umgefallene Mistgabel getreten, und die spitzen Zinken hatten ihr eine Krampfader aufgerissen. Das Blut ist herausgeschossen wie eine Fontäne, hat die ältere Schwester dem Doktor berichtet, den der Vater gleich selber in der Kreisstadt mit der Pferdechaise abgeholt hatte, das Stallpflaster hat
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