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Mitte der Welt

Mitte der Welt

Titel: Mitte der Welt
Autoren: Ursula Priess
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einen derartigen Sternenhimmel noch nie gesehen hatte, so hoch und funkelnd über dem ganz und gar lichtlosen Land.
    Noch immer hinter dem jungen Mann im Flugzeug stehend, stelle ich fest: Eigentlich will ich gar nichts mehr wissen von ihm und seiner Geschichte – und spüre, das Flugzeug dreht jetzt nach links; und durch die Fensterluken herein fällt gleißendes Licht. Sonnengeglitzer auf Wasser ist zu sehen, und eine Küstenlinie, geschnitten wie mit einer Schere. Das Schwarze Meer – Istanbul ist also schon sehr nah!
    Ich gehe zurück zu meinem Platz, stelle die Lehne senkrecht und schnalle mich an; und freue mich wieder auf mein geliebtes Istanbul und auf meinen geliebten Freund, der versprach mich am Flughafen abzuholen. Und für den jungen Mann in der hintersten Reihe hoffe ich, dass auch ihn Freundlichgesinnte abholen mögen, nicht Uniformierte.

SCHUPPIGE SCHIFFE ÜBER DEN DÄCHERN (FÜR ORHAN VELI KANIK)
    In lauen Sommernächten draußen zu sitzen auf dem Balkon und Istanbul zu hören mit offenen Augen, liebe ich sehr. Und auch meinen Geliebten liebe ich sehr. Und besonders, dass er heute bei mir ist, während die Nacht eben erst heraufsteigt und wir zusammen Wasserpfeife rauchen und träumen.
    Und warum Wasserpfeife?, lacht mein Geliebter.
    Ich weiß, niemand hier raucht mehr Wasserpfeife. Nur unten bei Tophane im Kaffee der Kapitäne die alten Männer oder drüben im Hof von Çorlulu Ali Paşa. Wir aber, mit Blick übers Wasser bis nach Asien, wie sollten wir da nicht sitzen und rauchen und träumen!
    Ich erinnere mich , sagt mein Geliebter, wie ich die Welt zum ersten Mal sah: durch den Spalt einer Muschel, grün das Wasser, blau der Himmel, und die geflammte Zeichnung auf vorbeiziehenden Pfauenlippfischen .
    Du Armer, sage ich, seit je mit deiner Sehnsucht nach dem Meer!
    Und schau , schuppig geflügelte Schiffe fliegen über die Dächer.
    Ja, verrückt macht den Menschen diese Welt / Diese Nacht, diese Sterne, dieser Duft / Dieser Baum, vom Wipfel bis zur Wurzel ganz erblüht.
    Der Mond geht auf über Asien, die Sterne verblassen, und auch die Lichter am Ufer gegenüber nehmen sich zurück. Aber von unten herauf das Tuten der Dampfer auf dem nächtlichen Bosporus.
    Nein, ich schwöre, so ist es nicht immer! Diese Stadt, dieser Himmel, diese Nacht – da muss noch irgendetwas anderes dabei sein.

EINE GUTE FREUNDIN
    Falls du jemals über Istanbul schreiben solltest, bitte schreib gut über uns und unser Istanbul!
    Was meinst du mit deiner Sorge? Du weißt doch, ich bin nach Istanbul gekommen, um hier zu leben und zu arbeiten.
    Es kommen so viele her, leben und arbeiten mit uns, wir freunden uns an, und dann gehen sie zurück und vergessen uns und wie es war hier; und später schreiben sie Berichte über uns und unser Istanbul, als ob sie nie hier gewesen wären, als ob uns nichts verbände.
    So Ingrid heute, als wir aus der Konzertprobe kamen.
    An jenem Advent-Nachmittag im Marmara Hotel hatte sie sich zu mir gesetzt, mich angestrahlt und gefragt, was ich in Istanbul mache und ob ich zurechtkomme. Hier ist es üblich sich gegenseitig zu helfen, sagte sie, besonders den Neulingen, damit sie bittere Erfahrungen gar nicht erst machen müssen. Ein paar Tage später rief sie an, dass jeweils am Freitag über Mittag die Konzertproben halböffentlich und kostenlos seien, ob ich Lust hätte mitzugehen. Inzwischen ist fast schon Tradition geworden, dass wir uns Freitagmittag in die Probe schleichen und hinterher essen gehen zusammen.
    Bei einem dieser Mittagessen, ziemlich zu Anfang unserer Freundschaft, fragte sie mich, was ich von Treue halte. Damals verstand ich ihre Frage nicht. Heute, als sie mich nach der Probe bat, von Istanbul nichts Schlechtes zu erzählen, fiel mir ihre Frage wieder ein. Ich sagte: Falls ich doch einmal über meine Zeit in Istanbul berichten sollte, würde ich gerne auch von dir erzählen. Deine Geschichte ist eine echte Istanbul-Geschichte, außerdem eine wunderbare Liebesgeschichte – falls du mir mehr davon erzählen würdest.
    Ingrid lächelte ihr fast mädchenhaftes Lächeln, ein bisschen verschmitzt, ein bisschen keck, und sagte nichts weiter.
    So ist es immer, wenn ich genauer wissen will, wie es damals war: Ach, das kannst du dir doch denken, wie es ist, wenn zwei sich lieben!
    Ja, einiges kann ich mir vorstellen, aber wie es für dich war, als du nach Istanbul kamst, davon wüsste ich gerne mehr. Nur die Eckpfeiler deiner Geschichte kenne ich, Knochen ohne Fleisch, davon
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