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Mit Schimpf und Schande

Mit Schimpf und Schande

Titel: Mit Schimpf und Schande
Autoren: David Weber
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trotzdem wäre sein Tod nicht mehr als ein Schlußpunkt. Seine jahrzehntelangen Anstrengungen, Harrington zu strafen, sie zu brechen und klein zu machen, waren gescheitert. Mehr als gescheitert, denn sie hatte den Spieß umgedreht und bescherte ihm dieses schmachvolle, erniedrigende Ende nach den qualvollen Tagen, während denen er darauf gewartet hatte, daß die Axt fiel. Sie hatte ihm nicht lediglich Furcht eingeflößt; sie hatte ihm vielmehr bewußt gemacht, daß er Furcht empfand, und seinen schändlichen Schrecken allen offengelegt, ihn aber gezwungen, damit Nacht für Nacht zu leben und immer wieder wimmernd in schweißgetränkten Laken zu erwachen.
    Haß drängte einen Teil der Furcht zurück, aber es war ein zweifelhafter Segen. Die Lähmung, die ihn befallen hatte, ließ nun wieder nach, aber dadurch wurden die stroboskopartigen Panikanfälle nur schärfer, durch ihre Klarheit nur noch schrecklicher. Wie dicke, ölige Schlangen lief ihm der Schweiß in Strömen die Stirn hinab, während die Luft gleichzeitig noch kälter erschien. Er nahm die Selbstladepistole entgegen, und sie wog in seiner rechten Hand so schwer, als bestünde sie aus Blei und nicht aus Stahl. Die Finger seiner linken Hand waren so taub, daß er das Magazin, das Stefan ihm reichte, beinahe fallengelassen hätte.
    »Laden Sie bitte, Lady Harrington.« North Hollow konnte die weit aufgerissenen Augen nicht von ihr abwenden, als Harrington das Fünf-Schuß-Magazin mit geschmeidiger Präzision in den Pistolengriff schob, mit einer derart graziösen Bewegung, daß sie choreographiert wirkte.
    »Laden Sie bitte, Lord North Hollow«, sagte Castellano, und Young nestelte ungeschickt an seiner Waffe. Das Magazin schien wie von eigenem Willen erfüllt sich wie ein Lebewesen zu winden, bevor er es endlich an Ort und Stelle hatte. Gedemütigt errötete er, als Castellano geduldig wartete, daß er den einfachen Handgriff erledigte. Er sah, wie Ramirez Harrington an der Schulter berührte, sah die grimmige Zustimmung auf dessen Gesicht, bevor er sich abwandte. Alles hätte er in diesem Moment darum gegeben, den gleichen Trost, die gleiche, simple Berührung von seinem Bruder zu erfahren. Doch Stefan klappte lediglich den Pistolenkasten zu und trat mit kaltem Stolz zurück, einem Ausdruck, der Harrington verkündete, daß die Youngs, was immer hier geschah, mit ihr noch lange nicht fertig seien. In diesem Augenblick erhaschte Pavel Young einen flüchtigen, unvollständigen Eindruck der grundlegenden Hohlheit semer ganzen Familie – der Sinnlosigkeit, der Nichtigkeit, die sie durchdrang, der Arroganz, die nun Stefan davon abhielt, auch nur zu erwägen, ob eine letzte körperliche Berührung von Wert sein könnte.
    Dieser Einblick war jedoch sehr kurzlebiger Natur, denn sie wurde durch ein erneutes Aufwallen von Youngs Furcht hinweggeschwemmt, bevor er wirklich begriff, und doch reichte sie aus, um ihn neuen Haß auf die Frau empfinden zu lassen, die ihm diese Selbsterkenntnis beschert hatte. Als wäre sein eigener Verstand bemüht, ihm noch eine letzte, brennende Demütigung beizubringen – das Wissen, daß Harrington selbst dann gewonnen hätte, wenn es ihm durch ein Wunder gelang, sie zu töten. Anders als er hatte sie etwas erreicht und ließ etwas zurück, weswegen sich Menschen mit Respekt an sie erinnern würden – er hatte nichts vollbracht, und das einzige, was von ihm bliebe, war eine verachtungsvolle Erinnerung, der sogar völliges Vergessen noch vorzuziehen war.
    »Nehmen Sie bitte Ihre Positionen ein«, sagte Castellano. Young drehte sich um und kehrte Harrington den Rücken zu. Trotzdem durchschnitt ihre Gegenwart den eisigen Wind, strahlte eine Wärme auf sein Rückgrat, die er nicht fühlte, sondern spürte, und wieder und wieder mußte er schlucken, um verzweifelt gegen seine aufkommende Übelkeit anzukämpfen. Und der Schiedsrichter sprach langsam:
    »Sie haben sich entschlossen, einander nach dem Dreyfus-Protokoll gegenüberzutreten. Sobald ich ›Los‹ befehle, werden Sie dreißig Schritte gehen. Sobald ich ›Halt‹ befehle, werden Sie auf der Stelle stehenbleiben und auf meinen nächsten Befehl warten. Auf meinen Befehl: ›Umdrehen‹ drehen Sie sich um, und jeder von Ihnen gibt einen und nur einen Schuß ab. Wenn keiner von beiden trifft, werden Sie beide die Waffen senken und auf der Stelle stehen, bis ich beide Parteien gefragt habe, ob der Ehre Genüge getan sei. Wenn beide Antworten negativ ausfallen, werden Sie auf meinen
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